Watch Me - Blutige Spur (German Edition)
erwischte.
Als Sheridan aufwachte, war es heller Tag, und Cain saß neben ihrem Bett. Seine Hände baumelten zwischen den Knien, das Haar stand zu einer Seite ab, als hätte er keine Möglichkeit gehabt, sich zu kämmen. Auch der Bartschatten an seinem Kinn war merklich dunkler geworden.
„Wie lange bist du schon ohne Unterbrechung hier?“, fragte sie.
„Fast zwei Tage.“
„Tut mir leid, ich hätte dich gestern Abend nach Hause schicken sollen.“ Sie fühlte sich immer noch benommen, aber es ging ihr besser. Das Sonnenlicht, das durchs Fenster hereinfiel, vertrieb ihre letzten verbliebenen Zweifel. Das Essen, das neben ihr auf einem zugedeckten Teller auf dem Nachttisch stand, duftete verführerisch. Zum ersten Mal seit dem Überfall verspürte sie Hunger. „Möchtest du etwas von meinem Lunch abhaben?“
„Nein.“
Er wirkte zerstreut. „Stimmt etwas nicht?“, fragte sie zögernd.
„Ich möchte dich hier rausholen.“
Sie vergaß ihren Lunch. „Wie bitte?“
„Wer immer dir das angetan hat, wird keine Ruhe geben.“
Das kurze Gefühl von Wohlbehagen, das sich bei dem Sonnenschein eingestellt hatte, verschwand. „Was willst du damit sagen?“
„Jemand, der weder Arzt noch Pfleger war, hat letzte Nacht versucht, ins Zimmer zu kommen, als wir beide geschlafen haben.“
„ Versucht?“
„Er sah verdächtig aus, also hat ihn jemand zur Rede gestellt. Daraufhin ist er abgehauen.“
Tiefes Unbehagen überkam sie, und sie bekam Gänsehaut an den Armen. „Du meinst also, dass derjenige, der mir das angetan hat, nicht aufgeben wird?“
„Ich weiß nicht. Vielleicht besteht gar kein Zusammenhang, aber ich möchte es nicht darauf ankommen lassen.“
Sie merkte, dass er sie nur ungern ängstigen wollte, und spürte, dass er sehr wohl glaubte, dass es einen Zusammenhang gab. „Dieser Killer ist wild entschlossen.“
„Man muss schon ziemlich unverfroren sein, um so etwas an einem öffentlichen Ort zu versuchen.“
„Oder verzweifelt genug. Darum …“
Stimmen an der Tür unterbrachen sie. Ned kam herein, gefolgt von einer Frau, die nicht ganz so sehr einem Schwergewicht ähnelte wie er, aber immer noch weit davon entfernt war, als zierlich gelten zu können. Ohne dass man sie ihr vorstellen musste, wusste Sheridan, dass das Amy war. Sie sah sofort ihre Ähnlichkeit mit Ned, aber sie hätte Amy auch unabhängig von ihrem Bruder wiedererkannt – trotz des zusätzlichen Gewichts, dem praktischen Zopf, der ihr langes rotes Haar bändigte, und der blauen Uniform.
In der Hoffnung, seine Reaktion auf seine Exfrau zu sehen, musterte Sheridan Cain, doch innerhalb eines Wimpernschlags wurde sein Gesichtsausdruck so neutral, dass nichts seine Gedanken verriet.
„Was geht hier vor?“, wollte Ned wissen.
„Wie du weißt, hatten wir letzte Nacht hier Besuch“, sagte Cain.
„Was, zum Teufel, hat das zu bedeuten? Am Telefon hast du geklungen, als hätte schon wieder jemand versucht, Sheridan umzubringen.“
„Ich denke, genau das ist passiert. Zum Glück war draußen im Flur ein Arzt, dem es merkwürdig vorkam, einen Mann mit Perücke im Krankenhaus zu sehen.“
Amy trat näher an das Bett heran und verschränkte die Arme vor der Brust, die in der Highschool noch nicht da gewesen war, zumindest nicht in ihrer jetzigen Größe. Zum fünften Mal, seit sie hereingekommen war, huschte ihr Blick zu Cain hinüber. Offensichtlich war Amy noch genauso verknallt in ihn wie eh und je, aber als sie schließlich sprach, wirkte sie zumindest recht professionell. „Hat man ihn erwischt?“
„Nein. Ein paar Pfleger haben ihn verfolgt, aber er ist entkommen.“
Fluchend schüttelte Ned den Kopf. „Ich glaub es nicht!“
„Und was machen wir jetzt?“, fragte Amy.
Cain fuhr sich mit der Hand durchs zerzauste Haar. „Ich würde sie gerne mit zu mir nach Hause nehmen.“
Sheridan blieb der Mund offen stehen. Das hatte Cain ihr vermutlich sagen wollen, bevor Ned und Amy hereingekommen waren.
Ned antwortete, ehe sie etwas sagen konnte. „Auf gar keinen Fall!“
Cain stand auf und ging um das Bett herum. „Warum nicht?“
„Weil ich hoffe, dass sie mir helfen kann, den Mord an Jason aufzuklären! Ich kann es nicht gebrauchen, dass du dich bei ihr einschmeichelst.“
„Ich werde alles tun, was ich kann, um Jasons Tod aufzuklären“, mischte Sheridan sich ein. „Aber das hat nichts mit Cain zu tun. Wo ich unterkomme, spielt überhaupt keine Rolle. Bestimmt gibt es noch andere
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