Watch Me - Blutige Spur (German Edition)
Gefrierfach war geschmolzen. Unter dem Gerät hatte sich eine Wasserpfütze gebildet. Die Polizei hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, das Radio auszuschalten und den Kühlschrank zu schließen.
„Herzlose Arschlöcher!“, murmelte Cain. Amy hätte wahrscheinlich absichtlich alles so gelassen. Sie war nicht glücklich damit, dass Sheridan zu Cain zog. Aber das Haus genauso vorzufinden, wie es in der Nacht ausgesehen hatte, als Sheridan angegriffen worden war, gab ihm einen klareren Eindruck davon, was passiert war. Zumindest wusste er jetzt, wo der Ärger seinen Anfang genommen hatte.
Cain faltete eine der Papiertüten auseinander, die Sheridan geleert hatte, bevor sie unterbrochen worden war, und begann die Kosmetika, Stifte und andere Dinge zusammenzusuchen, die sich in ihrer Tasche befunden hatten. Die Puderdose war zerbrochen, der Lippenstift geschmolzen und der Akku ihres Handys leer. Ob ihre Freunde und Familie wohl versucht hatten, sie zu erreichen? Was mochten sie denken, nachdem sie so lange nichts von ihr gehört hatten?
Als er sich wieder aufrichtete und gerade nach ihrem Gepäck und dem Ladegerät fürs Handy suchen wollte, entdeckte er das Portemonnaie, das er schon vermisst hatte. Nachdem er es unter dem Tisch hervorgeholt hatte, stellte er fest, dass es Fotos enthielt – Fotos, die ihn nichts angingen. Eigentlich. Aber er war einfach zu neugierig.
Es gab ein Bild von ihrer jüngeren Schwester im Hochzeitskleid, eines, das ihre Eltern vor einem Weihnachtsbaum zeigte, und ein weiteres, auf dem drei Frauen vor einer Glastür mit der Aufschrift The Last Stand standen. Als er ein Foto entdeckte, auf dem Sheridan in formeller Kleidung neben einem Mann stand, der den Arm um ihre Schulter gelegt hatte, nahm er sich einen Moment Zeit, um ihre Körpersprache zu studieren. War dieser Mann ihr wichtig? Machte er sich Sorgen, weil sie sich nicht meldete? Hatte er mit ihr geschlafen, so wie Cain vor zwölf Jahren?
Er verbannte die letzte Frage sowie die beharrliche Erinnerung, die damit verknüpft war, in den hintersten Winkel seines Bewusstseins und wandte sich dem nächsten Bild zu. Und erstarrte. Es war ein Bild von Jason als Zehntklässler.
Warum trug sie ein Foto mit sich herum, das sie permanent an das erinnerte, was sie durchgemacht hatte?
Die Trauer über den Tod seines Stiefbruders traf Cain so hart wie an dem Tag, an dem es geschehen war. Als sei seitdem keine Zeit verstrichen. Jason war der beste Junge gewesen, den Cain kannte. Er war lebensbejahender und praktischer als Robert und im Umgang mit anderen Menschen geschickter als Owen. Er war der typische amerikanische Gewinner, einer von denen, denen der Erfolg in die Wiege gelegt zu sein schien – wenn er lange genug gelebt hätte.
Cain konnte sich noch gut daran erinnern, wie aufgeregt Jason gewesen war, weil er ein Date mit Sheridan hatte. Auch seine eigene nagende Eifersucht hatte er nicht vergessen.
„Hey, irgendjemand zu Hause?“, ertönte die Stimme eines Mannes.
Cain schob das Foto zurück ins Portemonnaie. „Herein!“
Schritte ertönten im Flur, dann duckte Tiger Chandler sich und betrat die Küche. „Wusste ich’s doch, dass das dein Truck ist. Das war’s dann wohl mit der angenehmen Nachbarschaft.“
Cain erwiderte sein Lächeln. „Die ist schon zum Teufel gewesen, bevor ich gekommen bin.“
„Wem sagst du das!“ Obwohl Tiger nicht gerade der Typ war, der ein Fitnessstudio besuchte, hatte er eine stämmige Statur und war von Natur aus kräftig. Cain hatte ihn einmal in der Kneipe kämpfen sehen und wusste, dass er ziemlich beeindruckend sein konnte. „Bist du der Reinigungsdienst?“
„Mehr oder weniger.“
Tiger rümpfte die Nase, die zu klein für sein Gesicht war. „Riecht so, als hättest du die Arbeit ein wenig schleifen lassen.“
„Bevor du gekommen bist, war mit dem Geruch alles in Ordnung.“ Cain grinste, während er sich den geschmolzenen Lippenstift mit einem Papiertuch von den Händen wischte.
Tiger strich sich über die blondierten Haarspitzen, die er mit Gel zu Stacheln aufgerichtet hatte. „Ich hätte nie gedacht, dass du auf Make-up stehst.“
Cain richtete den umgefallenen Stuhl wieder auf. „Keine Sorge, die Höschen und High Heels überlasse ich dir.“
Tiger lachte, aber sein Blick wurde ernst, als er sich umsah. „Hier ist es also passiert?“
„Sieht ganz so aus.“
„Sie war erst einen Tag und eine Nacht in der Stadt. Was ist das denn für eine Willkommensparty?“
Cain
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