Watch Me - Blutige Spur (German Edition)
wenn sie ihn nicht dazu überredet hätte, um Cain eifersüchtig zu machen. Sie hatte Cain seinen Stiefbruder genommen, und dieser Schuld konnte sie sich nicht stellen. Nicht jetzt. Alles, was zählte, war dieser Moment. Um zu überleben, durfte sie es nicht zu kompliziert machen.
„Ich werde nirgendwo hingehen.“
Seine Antwort hätte sie beruhigen sollen. Doch sie meinte, erneut den ohrenbetäubenden Knall des Gewehrs am Rocky Point zu hören, Jasons rasselnden Atem, als er verzweifelt Luft zu holen versuchte, und den brennende Schmerz an der Stelle zu spüren, wo die Kugel in ihren Bauch eingedrungen war. Die Eindrücke vermischten sich mit den Bildern aus dem Überfall vor einer Woche, bis sie das eine Erlebnis nicht mehr vom anderen unterscheiden konnte.
Blöde Schlampe! Dafür wirst du bezahlen!
Das hatte der Mann mit der Skimaske geraunt. Aber war er auch der Mann, der auf sie geschossen hatte? Ned glaubte das, Sheridan ebenfalls. Nur dass er sich im Laufe der Jahre verändert hatte. Sein Blutdurst war offenbar stärker geworden. Sonst hätte er sich damit zufriedengegeben, eine Waffe zu benutzen, so wie beim ersten Mal.
Ihre Freundin Jasmine war forensische Profilerin, und sie würde genau das bestätigen. Sheridan hatte oft genug erlebt, wie sie Gewaltverbrecher analysierte, um zu wissen, welche Schlüsse sie aus so einem hautnahen und persönlichen Angriff ziehen würde. Wer immer es gewesen war, hasste sie. Aber warum?
Mit einem nervösen Blick auf die Tür streckte sie die Hand aus und ertastete die weichen Haare auf Cains Unterarm, ehe sie seine Hand fand. Er war so kräftig, so warm. „Kannst du mich … festhalten … nur ein paar Minuten?“, bat sie. Er hatte gesagt, er würde nirgendwo hingehen, aber er würde nicht ewig bleiben können. Sie wollte sich vergewissern, dass er nicht ging, ehe sie das Alleinsein ertragen konnte.
Er beantwortete ihre Frage nicht direkt, aber seine Finger schlossen sich schützend um ihre. „Alles wird wieder gut.“
„Ich weiß“, log sie. „Ich bin nur … Lass nicht los. Geh nicht, bis ich eingeschlafen bin.“
Der Griff seiner Finger verstärkte sich, als wollte er sie beruhigen. „Ich bin hier.“
Dann war es, als würde sie von einer schwarzen Woge überrollt und mitgerissen.
Cain saß im Dunkeln und betrachtete Sheridan im Schlaf. Jedes Mal, wenn er sie zudeckte, schaffte sie es, das Laken wieder beiseitezustoßen. Im Moment war es um ihre Hüfte zusammengeknüllt, aber es schien ihr gut zu gehen, also ließ er es, wo es war. Die violetten Prellungen in ihrem Gesicht, am Hals und an den Armen verfärbten sich stellenweise bereits gelb und grün. Zusammen mit den schorfigen Wunden der unzähligen Stiche und Kratzer, dem üppigen schwarzen Haar und der Platzwunde auf ihrer Stirn, die mit zehn Stichen hatte genäht werden müssen, könnte sie glatt als Frankensteins Braut durchgehen. Trotzdem hatte Owen recht. Es war unschwer zu erkennen, dass sie ohne diese Verletzungen so umwerfend wie immer aussehen würde. Womöglich war sie sogar noch schöner geworden.
Jetzt, wo alle Lichter aus waren, waren die Kratzer und Prellungen im schwachen Licht fast nicht zu erkennen, und er konnte erahnen, wie sie aussehen würde, wenn sie wieder gesund war. Sie hatte dasselbe ovale Gesicht und den spitzen Haaransatz wie früher, doch ihre Augen wirkten größer, vielleicht weil ihre Wangen die leichten Rundungen eingebüßt hatten. Die niedlichen Grübchen von früher waren fast verschwunden, aber das machte Cain nichts aus. Er bevorzugte ohnehin die feineren Züge eines schlanken Gesichts. Mit den vollen Lippen und der schön geformten Nase brauchte sie keine anderen Vorzüge, doch offensichtlich war sie in kieferorthopädischer Behandlung gewesen, seit sie aus Whiterock fortgezogen war. Der leicht schiefe Zahn, an den er sich von ihrem breiten Cheerleader-Lächeln erinnerte – derselbe Zahn, den er einmal mit seiner Zunge berührt hatte –, war inzwischen genauso gerade wie alle anderen.
Er konnte es sich nicht verkneifen, den Blick tiefer wandem zu lassen, während er die Veränderungen ihres Körpers abschätzte. Insgesamt war sie schlanker geworden, und dadurch wirkten ihre Brüste größer. So wirkte es zumindest unter diesem dünnen Krankenhaushemd.
Sie auf diese Weise zu mustern brachte Erinnerungen an jene Vollmondnacht zurück, in der sie nackt auf dem Bett im Wohnmobil im Wald gelegen hatte … Das Bild löste so einen Testosteronschub aus, das er
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