Watch Me - Blutige Spur (German Edition)
aufstand und sie wieder zudeckte, damit er sich nicht wie ein lüsterner Widerling vorkam.
Als er ihre Hände unter die Decke legte, fielen ihm die abgebrochenen und eingerissenen Fingernägel auf, die zeigten, wie hart sie um ihr Leben gekämpft hatte. Die Haut an ihren Handgelenken war vom Seil wundgescheuert, und dieser Anblick löste eine Woge frischen Ärgers in ihm aus …
„Cain?“ Ihre Lider flatterten, als sie die Augen öffnete.
„Was ist?“
„Ich bin immer noch … wach“, murmelte sie. Die Worte waren kaum zu verstehen. „Geh nicht fort … Verlass mich nicht …“
„Ich bleibe hier“, sagte er und küsste sie spontan auf die Stirn, als sei sie ein kleines Mädchen. Dann schlief sie ein.
Cain saß im Sessel neben ihrem Bett. Zu Hause wartete ein Haufen Arbeit auf ihn, aber er wollte sie nicht allein lassen. Wie ihre schlanken zarten Finger nach seiner Hand gesucht hatten … Sie brauchte ihn, davon war er überzeugt. Solange er hier saß, würde seine Stärke vielleicht zu ihrer Genesung beitragen. Sobald sie wieder auf den Beinen war, würde er sich darauf konzentrieren, den Mann zu finden, der ihr das angetan hatte. Auf Ned konnte Sheridan unmöglich zählen. Der war zur Polizei gegangen, damit er mit einer Dienstmarke und Pistole in der Stadt herumstolzieren konnte.
Die Tür öffnete sich, und eine Krankenschwester betrat das Zimmer. „Es ist Zeit für ihre Medikamente“, flüsterte sie und überprüfte Sheridans Blutdruck und andere Vitalparameter, ehe sie eine Nadel in den venösen Zugang steckte. Als die Schwester fertig war, wusste Cain, dass Sheridan eine ganze Weile schlafen würde, und konnte sich endlich genug entspannen, um selbst ein wenig zur Ruhe zu kommen. Doch nach kurzer Zeit, die ihm wie wenige Minuten vorkamen, rissen ihn Lärm und Geschrei aus dem Flur erneut aus dem Schlaf.
„Wer sind Sie? Was machen Sie hier?“, rief jemand. Dann hörte er etwas zusammenkrachen, und mehrere Frauen begannen zu schreien.
Cain warf die Decke zurück, sprang auf die Füße und stürzte zur Tür. Im Flur war ein Wagen mit medizinischen Vorräten umgekippt. Mehrere Krankenhausangestellte liefen in wilder Panik durcheinander.
„Ruf den Sicherheitsdienst!“, brüllte ein Mann.
„Er ist die Treppe runter!“, rief jemand anders.
Ein Arzt im OP-Kittel lehnte an der Wand ganz in der Nähe und musterte erstaunt den Tumult um ihn herum.
„Was ist hier los?“, fragte Cain.
„Hier war gerade ein merkwürdiger Kerl“, sagte der Arzt. „Als ich ihn ansprach, rannte er gegen die Schwester, kippte den Wagen um und verschwand im Treppenhaus. Zwei Pfleger sind ihm nach.“
Cains Magen zog sich vor Anspannung zusammen. „Warum war er merkwürdig?“
„Oh, er benahm sich ganz normal. Ich meine, er trug einen blauen OP-Kittel, was nicht ungewöhnlich ist. Aber er trug einen Mundschutz, und es sah aus, als hätte er eine Perücke auf. Deshalb ist er mir überhaupt aufgefallen.“
Cain machte kehrt, rannte ins Krankenzimmer zurück und schaltete das Licht an. Er riss die Laken zurück und erwartete fast schon, ein Messer in Sheridans Brust zu entdecken. Aber da war kein Messer und auch kein Blut.
Er drückte zwei Finger an ihren Hals und betete, dass er den Puls spüren möge …
Dann fand er ihn.
„Alles in Ordnung bei Ihnen?“
Cain wandte sich um und sah eine Krankenschwester, die die Tür einen Spalt aufgestoßen hatte. „Alles bestens“, sagte er, und sie eilte davon.
Es ist alles bestens, sagte er sich. Sheridan war in Sicherheit. Aber er war nicht wachsam genug gewesen.
Gott sei Dank bekam er eine zweite Chance.
6. KAPITEL
„Was ist das für ein Theater?“, wollte Marshall wissen.
Cain stützte den Ellenbogen auf das Münztelefon in der Krankenhauslobby und wünschte wieder einmal, er hätte ein Handy. Er hatte sich vergewissert, dass Levi Matherley sich um seine Hunde kümmerte, und beschlossen, bei seinem Großvater anzurufen, solange Sheridans Arzt bei ihr war. Das Verhältnis zu John, seinem Stiefvater, war zwar vom ersten Tag an angespannt gewesen, doch mit Marshall war es das genaue Gegenteil. Sie hatten sich auf Anhieb gut verstanden, von dem Moment an, als Cains Mutter ihren zwölfjährigen Sohn in Wyatts Eisenwarenladen mitgenommen hatte, um ihn vorzustellen. „Du hast also von der Aufregung gehört“, sagte Cain jetzt und versuchte, sich die Müdigkeit aus den Augen zu reiben.
„Meinst du etwa, ich bekäme hier nichts mit?“
Marshall lebte in einem
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