Watch Me - Blutige Spur (German Edition)
war bereits Nachmittag. Manchmal verlor er sich so in seinen Gedanken, dass ihm jeder Kontakt zur Wirklichkeit abhandenkam. Dass es ihm schon wieder passiert war, beunruhigte ihn. War das der Beginn der Alzheimerkrankheit?
Um Himmels willen, er wollte nicht wie Marshall enden und von seinen eigenen Kindern nur noch bemitleidet werden! „Ja, äh, natürlich“, sagte er und versuchte, sein seelisches Gleichgewicht zurückzugewinnen.
„Und wo steckst du? Erzähl mir nicht, dass du schon wieder mit deinem Schweißbrenner zugange bist.“
Er hatte ein kleines Nebengeschäft übers Internet aufgebaut, in dem er Rasendekorationen verkaufte, Tierfiguren, die er aus Schrott zusammenschweißte. Normalerweise verbrachte er nur die Samstagvormittage in seiner Schweißerwerkstatt, aber jetzt, wo er frei hatte, verbrachte er mehr Zeit dort. „Doch, bin ich.“ Er wollte ihr nicht sagen, dass er ihre Verabredung vergessen hatte, schließlich hatte er ihr erst vor einer halben Stunde eine SMS geschickt, dass er kommen würde. Sie war fünfzehn Jahre jünger als er, und er wollte ihr keine Angst einjagen. Nachher kam sie noch auf die Idee, er könnte psychische Probleme haben. Dann würde sie ihn nie heiraten.
„Wo ist denn dein Handy? Ich habe dich angerufen, aber du bis nicht rangegangen.“
Es lag im Wohnzimmer, wo er es nicht hören konnte. „Ich muss den Ton ausgestellt haben.“
„Dann stell ihn wieder an. Und beeil dich! Wenn du nicht bald kommst, habe ich keine Zeit mehr.“
Er massierte sich die Schläfen und sagte sich, dass andere Menschen ebenfalls gelegentlich Verabredungen zum Lunch vergaßen. „In fünf Minuten bin ich da“, versprach er.
Der Helligkeit draußen vor dem Fenster nach zu urteilen, war es mindestens später Vormittag, vielleicht auch früher Nachmittag. Es war ihr erster Tag in Cains Haus, doch Sheridan konnte niemanden hören. Sie lag mehrere Minuten ruhig da und lauschte in die vollkommene Stille. War sie allein?
Sie drehte sich zur Seite und suchte nach einem Telefon auf dem Nachttisch.
Dort stand keins. Sie lag im Gästezimmer, das vermutlich nur selten benutzt wurde. Sie konnte nachvollziehen, dass es hier keinen eigenen Anschluss gab. Aber sie wollte The Last Stand anrufen, um mit Jonathan oder Skye oder Ava zu reden, und anschließend mit Jasmine telefonieren.
Aber was sollte sie ihnen eigentlich erzählen? Alle hatten ihr geraten, nicht nach Whiterock zurückzukehren. Besonders Jonathan hatte darauf bestanden, dass dort nur Kummer und Elend auf sie warteten. Er glaubte nicht, dass ein Gewehr ohne jeden Fingerabdruck neue Erkenntnisse liefern würde. Aber Sheridan sehnte sich so verzweifelt nach Antworten, dass sie die Reise trotzdem unternommen hatte. Und jetzt lag sie verletzt in Cains Gästebett. Sobald ihre Freunde das hörten, würden sie entweder sofort an ihre Seite eilen, was sie nicht hinnehmen konnte, da die meisten von ihnen Familie hatten, oder sie würden sie anflehen zurückzukommen.
Sheridan war weder die eine noch die andere Reaktion willkommen. Sie wollte nicht das Leben der anderen durcheinanderbringen, schließlich war es ihre eigene Entscheidung gewesen hierherzukommen. Doch ebenso wenig war sie bereit, zurückzukehren, bevor sie hier fertig war. Der Angriff auf sie hatte weitere Fragen aufgeworfen – und sie in ihrer Entschlossenheit bestärkt, Antworten auf diese Fragen zu finden.
Schließlich war sie fast froh, kein Telefon in Reichweite zu haben, weil sie es so hinauszögern konnte, sich bei ihren Freunden zu melden. Mit beiden Händen strich sie ihr Haar glatt und rief laut: „Hallo? Ist jemand zu Hause?“
Sie hasste es, so abhängig und hilflos zu sein, hasste das Gefühl, dass sie Cain mehr Arbeit und Ärger aufhalste, als sie von einem alten Bekannten verlangen durfte. Aber sie musste etwas trinken, und sowohl er als auch der Arzt hatten ihr verboten, schon aufzustehen.
Glücklicherweise schien Cain die zusätzliche Mühe nichts auszumachen. Gestern Abend hatte er ihr beim Essen geholfen und sie ganz behutsam gewaschen. Sie hatte den Eindruck gewonnen, er würde es genießen, sich um sie zu kümmern, so wie er sich gerne um alle anderen Lebewesen auf seinem Grundstück kümmerte. Zumindest war er spielend damit fertig geworden.
Niemand antwortete auf ihr Rufen, doch eine schwarze Schnauze schob sich durch die Tür, die einen Spaltbreit offen stand. Einer von Cains Hunden schien ihre Bekanntschaft machen zu wollen.
„Hallo“, sagte sie, aber
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