Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)
Bescheid!
Flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl
, so kernig hat sich einst der Führer den deutschen Jungen der Zukunft gewünscht. In wehmütiger Resignation ruft es der immerzu am Gartenzaun klebende Pensionär Klein seinen bedauernswerten Zuhörern ein ums andere Mal in Erinnerung. Cornelius verfügt über keine dieser Eigenschaften. Dabei könnte er sie gut gebrauchen, um sich der dauernden Frotzelei der Altersgenossen über seine zu weit abstehenden Segelohren zu erwehren oder um sie, denn
Rache ist Blutwurst
, handfest zu verprügeln, wenn er, wie so oft, wegen seines unüblichen Vornamens von ihnen aufgezogen wird. Wenigstens hat er keinen roten Haarschopf wie sein Banknachbar, der siebengescheite Kutscher Toni, der den Spöttern das Hänseln damit vergilt, dass er spielend Klassenbester wird.
Unter Aufbietung aller verfügbaren Kraft hat Cornelius es einmal beinahe geschafft, den hartnäckigsten Spötter zu Boden zu werfen, doch der Gegner war wendig und flink, er setzte einfach eine Beinschere an, und das Gewicht des schweren Schulranzens auf dem Rücken besorgte den Rest. Die Rauferei endete wie gewohnt damit, dass Cornelius zu Boden ging und unterlag. Einmal mehr musste er das gemeine und äußerst schmerzhafte »Muskelreiten« über sich ergehen lassen, während höhnisch feixende Schulgefährten die Stätte seiner Demütigung säumten. Bei der harten Tortur des Muskelreitens liegt der Besiegte mit ausgebreiteten, an den Handgelenken durch festen Zugriff fixierten Armen auf dem Rücken, der siegreiche Peiniger sitzt obenauf, beide Knie mit dem vollen Körpergewicht auf den Bizeps gedrückt, und »reitet« bis zum herausgepressten Eingeständnis der Unterwerfung darauf herum, indes in der Brust des Gemarterten die wilde Wut wächst und wächst und den armen Tropf zu ersticken droht. Am liebsten würde Cornelius seinen Bezwinger zuschanden schlagen, aber er ist so erledigt wie ein Wettläufer, der die ersten Runden weit vorne an der Spitze lag, in der entscheidenden letzten aber von sämtlichen Konkurrenten überholt wird und schließlich als Verlierer ins Ziel stolpert.
im maskentreiben am kalten faschingsdienstag mit einem kapselrevolver in der gegend herumzuballern komme gar nicht in frage befindet ludwig das bedeute nämlich krieg spielen und von derartigen spielen habe man die schnauze gestrichen voll für so einen unfug auch noch geld auszugeben da reue ihn jeder einzelne pfennig der großvater fertigt dem enttäuschten jungen dafür ein hölzernes kriegsbeil und dazu einen schön bemalten schild aus sperrholz federschmuck und bunte bemalung machen aus ihm einen prärieindianer auf dem kriegspfad und zugleich ein prächtiges ziel für die vielen kleinen cowboys die auf der straße freudig ihre revolver knallen lassen so heftet sich der kleine häuptling cornelius an die fersen vagabundierender lumpen und clowns und schwingt mit gequältem stolz den tomahawk
Die Scheu vor anderen Menschen, die Cornelius dazu bewogen hat, sowohl bei den wilden Streichen als auch bei den harmlosen Vergnügungen seiner Spielkameraden schüchtern und schamhaft beiseite zu stehen, ist zu seiner zweiten Haut geworden. Sie hält ihn davon ab, eine Zwille in die Hand zu nehmen und mutwillig damit auf Vögel zu zielen, und sie bewahrt ihn davor, sich unter rüden Spießgesellen groß hervorzutun. Die Schutzhaut ist ihm nicht einfach zugewachsen, im Verlauf seiner Kindheit hat er sie sich redlich erwerben müssen, und es soll sich als gar nicht so leicht herausstellen, sie später, da sie ihn ernsthaft am Gebrauch des Lebens hindert, wieder loszuwerden, nur langsam mag sie sich schälen; tatsächlich besteht sogar Gefahr, dass sich das häufige Alleinsein mit dem ohnmächtigen Gefühl, überall auf taube Ohren zu stoßen, zu einem absonderlichen Charakterzug verfestigt. Nicht von ungefähr lautet eine nur vordergründig paradoxe Weisheit:
Das Kind ist der Vater des Erwachsenen
.
Sein Großvater ist ein wahrhaft gutmütiger Mann, er ist umgänglich und nicht die Spur schroff oder eingebildet; er hat keine Feinde, weil er selber keines Menschen Feind ist. Wilhelm gehört zu der Sorte Mensch, der man gemeinhin nachsagt, sie sei zu gut für das Alltagsleben. Immerhin hat er die verwitwete Lena geheiratet, die mit ihrer Tochter Carla obendrein bereits ein halbwüchsiges Kind mit in die Ehe brachte. Allerdings hat das seltsame Paar eine denkbar lange Zeit vor der Hochzeit in wilder Ehe zusammengelebt,
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