Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)
funkelnden Rolls Royce stehen gehabt, für den eigens ein standesgemäßer Chauffeur angestellt worden sei. Wie dem auch gewesen sein mag, zuletzt war – aus ihrer zweiten Ehe mit dem Gastwirt Sebastian Hambauer – nur noch ein Wirts- und Mietshaus übrig geblieben, aber auch dieses Gebäude ging während des Krieges verloren: In einer Bomben- und Brandnacht war es so sehr ruiniert worden, dass es schließlich komplett abgerissen werden musste. Die Brache verkaufte Martha später für geringes Geld und das Recht, den Rest ihres Lebens mietfrei in einem knapp geschnittenen, modernen Appartement wohnen zu können, an eine Großbrauerei, von der das Mietshaus samt Wirtschaft neu aufgebaut wurde. Leider ist ihr Sohn Wilhelm bei dem ganzen Handel leer ausgegangen.
Ganz im Gegensatz zu seiner Familie scheint Wilhelm den schrittweisen Verlust des Wohlstandes eher auf die leichte Schulter zu nehmen und mit den widrigen Umständen des Lebens nicht sonderlich hart ins Gericht zu gehen. Die Dinge, die auf ihn zukommen, nimmt er für gewöhnlich gelassen hin, und ansonsten neidet er niemandem sein spezielles Los. Er untersagt Cornelius, schlecht über andere Menschen zu reden; sich selbst versagt er sogar, auch nur schlecht über andere Menschen zu denken.
Kurz vor Kriegsende, in den letzten Tagen des »Dritten Reiches«, war der Gefreite Wilhelm von seiner in panischer Auflösung vor den Russen zurückflutenden Einheit desertiert und hatte sich in einer mittleren Odyssee, über deren einzelne Stationen er sich weitgehend ausschwieg, von Breslau bis zu den mittlerweile auf dem oberbairischen Land einquartierten Angehörigen durchgeschlagen, die dort, während seiner Abwesenheit, unter der unverhohlenen Abneigung der eingesessenen Großbauern gehörig zu leiden gehabt hatten. Gleich nach seiner glücklichen Ankunft in dem behäbigen, voralpenländischen Kuhdorf kam die nun wieder vollzählig versammelte Familie in den Genuss eines erhebenden Schauspiels: Der zur Kapitulation bereite Bürgermeister, der die aus der Landeshauptstadt evakuierten Familien oft und gern schikaniert, für den Leichnam einer aufgrund der erlittenen Entbehrungen im Ort verstorbenen Großtante sogar kaltschnäuzig eine Grabstätte innerhalb der Umfriedung des Kirchhofs verwehrt hat, wurde von den einrückenden Franzosen auf dem Kühler des vordersten Jeeps als Geisel und Schutzschild durch die Ortschaft gefahren. Der alte Parteibonze war sichtlich von Angst gepackt, dass etwaige Heckenschützen des »Werwolf« noch im allerletzten Moment auf ihn feuern würden.
Die Befürchtung des beleibten, vor Angst schlotternden Amtsträgers hatte durchaus ihre Berechtigung: In einer nahe gelegenen Bergarbeitergemeinde waren tags zuvor »Fliegende Standgerichte« und »Werwolfkommandos« über ein Dutzend Einwohner, darunter eine hochschwangere Frau, hergefallen, hatten ihre Opfer aus Häusern und Wohnungen geholt und entweder gleich im Herzen der Stadt an Bäumen erhängt oder am Rand der Arbeitersiedlung erschossen. Die Ermordeten waren den vermummten Nazibanditen von ortsansässigen Denunzianten als »Verräter und Verbrecher am Volk« angezeigt worden, weil diese Männer und Frauen den Mut hatten, dem über das Radio verbreiteten Ruf einer »Freiheitsaktion« zu folgen und noch vor dem Einmarsch der Alliierten demokratische Verhältnisse wiederherzustellen.
Schleunigst verließ die Familie das ungastliche Dorf. Wilhelm organisierte kurzerhand einen Lastwagen und brachte Lena und ihre Töchter in die zerstörte Vorstadt zurück. Was sie aus der verheerenden Bombennacht an Hausrat und Wertsachen gerettet hatten, war beim Tausch gegen Eier, Kartoffeln und Mehl in den Besitz habgieriger Bauern übergegangen. Zum Ausgleich brachten sie einige kuriose Andenken an den erzwungenen Landaufenthalt mit: neben verschiedenen Silberringen einen ebenfalls silbernen Schöpflöffel, in den die Initialen von Hermann Göring, H. G., eingeritzt waren, Beutegut aus den von britischen Bombenflugzeugen zerstörten Führerbauten und Häusern der NS-Größen am Obersalzberg, der monströsen Nazipilgerstätte bei Berchtesgaden. Französische Kämpfer hatten die Ruinen geplündert und bezahlten mit den erbeuteten Preziosen die Mahlzeiten, die ihnen aus den bei den Bauern requirierten Lebensmitteln und dem in den umliegenden Wäldern geschossenen Wild zubereitet wurden. Ihre ungewöhnlichen Zahlungsmittel, aus den Fassungen von Schmuckstücken gebrochene Edelsteine, trugen die Soldaten
Weitere Kostenlose Bücher