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Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)

Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)

Titel: Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Günther
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ehrlicher zu sein, dabei aber auch viel aparter, von ehrbaren Menschen als Bankert angesehen zu werden. Wofür er sich früher unsäglich geschämt hat, darauf ist er nun unsagbar stolz. Wenigstens für eine Weile, denn letztendlich ist freilich beides unsinnig, aus eigenem Zutun kann er ja nichts dafür.
    Schwach und blass erhalten haben sich die Nachbilder glücklicher Tage. Wilde Hetzjagden über Stock und Stein, stürmischer Angriff, überstürzte Flucht, erbitterte Verteidigung – die leidenschaftlichen Scharmützel der in ihre Dauerfehden verstrickten Jugendbanden verwandeln ihn vom zögerlichen, nur am Rand beteiligten Beobachter in einen erregten Mitläufer, der blindlings und berauscht miteinstimmt in das gellende Geschrei, in den gejohlten Kriegsruf, der tief eintaucht in das wüste, besinnungslose Treiben, sich hineinstürzt in den tobenden Strom. Feurigen Herzens folgt er dem heiseren Gebell der älteren, rauflustigen Anführer, im Galopp Dreckklumpen und Steine schleudernd, angespitzte Stecken tragend, eingebildete Schwerter gezückt, bis er bei der wütenden, atemlosen Verfolgung der mit Glück zurückgeschlagenen feindlichen Eindringlinge ins Straucheln gerät und als vereinzelter ungelenker Nachzügler zurückbleibt, dort vor der Mauer des alten Judenfriedhofs, keuchend, völlig verausgabt, im Wahn über sich selbst hinausgetragen und ein wenig auch entsetzt über sich selbst.
    Beim Indianerspielen sucht Cornelius hinter dem rissigen Schaft einer hochgewachsenen Pappel Deckung vor feindlichen Komantschen, dabei tritt er mit dem linken Fuß in ein von Zweigen nur dürftig abgedecktes Erdloch. Aus der Grube spitzt die hellbraune Ecke einer Kiste hervor. Durch vorsichtiges Scharren legt er eine hölzerne, halb versengte Zigarrenschachtel bloß, beim Aufklappen fällt sein erstaunter Blick auf ein buntes Kaleidoskop gezähnter Miniaturen. Der unversehens gehobene Schatz ist eine Augenweide, eine kunterbunte Sammlung abgestempelter Briefmarken aus sämtlichen Ländern und Kontinenten, aus Mexiko, Frankreich, England, Indien, Australien, Italien, Griechenland, Brasilien, Norwegen und Tansania. Lena holt ein fast leeres Briefmarkenalbum und eine Pinzette herbei, und gemeinsam verbringen sie einen beschaulichen Nachmittag mit dem Einordnen und Betrachten der winzigen Bilder, auf denen aztekische Krieger, olympische Sportarten, gekrönte Häupter, amerikanische Präsidenten, exotische Fauna und Flora, farbenprächtige Schmetterlinge, kühn geschwungene Eisenbahnbrücken, Modelle von Automobilen und Flugzeugen, Weltwunder wie der Koloss von Rhodos, mittelalterliche Städte und viele andere Sehenswürdigkeiten zu bewundern sind, auch einige wunderschöne Marken aus dem Königreich Bayern sind darunter, wunderschön gelettert, mit dem tintenschwarzen Aufdruck »Freistaat Bayern« über dem Bildnis von König Ludwig III. und dem Staatswappen in leuchtend weißem Prägedruck.
    Der wundersame Fund weckt sogleich die Begierde des Onkels. Der Kriminaler schließt sich mit dem Sohn von Herrn Groß zusammen, der als erfahrener und fachmännischer Sammler von Briefmarken und Münzen gilt. Anhand von Katalogen und mit der Lupe sehen beide von der bunten Vielfalt der Marken ab, sie prüfen die Fundstücke vielmehr sachlich und nüchtern, wie es sich in einem ordentlichen Metier geziemt, auf ihre Unversehrtheit hin und bestimmen den Wert. Am Ende verbleiben im Album und somit in Cornelius’ Besitz nur die mehrfach vorhandenen, beschädigten oder als wertlos erachteten Marken und die ihm entwendeten werden zum beachtlichen Grundstock einer fachgerecht angelegten Sammlung, die Ludwig zur Sicherheit in der Kommode abschließt.
    bis weit in den sonntagvormittag hinein döst cornelius im breiten ehebett von onkel und tante das im frisch renovierten mit hellen schleiflackmöbeln ausgestatteten schlafzimmer steht er ist das ganze wochenende über zu gast und darf so lange liegen bleiben bis alles für das frühstück bereit ist aus der küche dringt morgendliches radiogeräusch und das pfeifen des teekessels beim ausstrecken stößt er unter dem federbett mit den füßen an einen festen packen als er danach greift und ihn zu sich zieht hält er ein lederholster in der hand in dem ein kühler schwarzer metallgegenstand steckt es ist die dienstpistole seines onkels der übers wochenende bereitschaftsdienst hat und deshalb jederzeit abgeholt werden kann von einer früheren übernachtung her kennt cornelius bereits den schlagstock

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