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Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)

Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)

Titel: Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Günther
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lehnte. Nach einer langen Schrecksekunde tritt er peinlich berührt zurück, ohne von dem Maler und seinem Modell entdeckt worden zu sein, bis zum Hals schlägt sein erregtes Herz. Wiewohl ihn das reizende Tableau mit aller Macht anzieht, riskiert der sinnenverwirrte Jüngling keinen weiteren verstohlenen Blick.
    Cornelius ist inzwischen ein hoch aufgeschossener Junge mit spitzen Knien, mager und knochig. Immer noch wird er wegen seiner abstehenden Ohren gehänselt. Unlängst ist er im Zeichenpavillon während der Unterrichtsstunde bewusstlos vom Hocker gestürzt und mit dem Kopf gegen einen Heizkörper geschlagen. Ohne es zu wissen, durchlebt er gerade die letzten furchtbeladenen Tage seiner Kindheit. Den Rücken leicht gekrümmt, ganz in sich gekehrt, stelzt er sommers wie winters, auf eine eigentümliche Art ungelenk, den Rinnstein entlang. Er hat kein Gespür für den brausenden Verkehr, und da er meist gesenkten Hauptes unterwegs ist, achtet er auch kaum auf entgegenkommende Passanten. Selbst die helle Aufregung, die im Fruchthof herrscht, nimmt er nur am Rande wahr. Eine faustgroße haarige Riesenspinne ist mit einer Lieferung Bananenstauden angekommen und hat sich nun in irgendeinem Winkel verkrochen. Der Blick des Jungen ist unverwandt auf den grauen Boden geheftet, in Gedanken zermartert er vergebens sein Hirn, wie er es bloß anstellen soll, einer unvermeidlichen Bestrafung doch noch zu entgehen. Vielleicht hilft es ja, die Schritte entsprechend lang oder kurz zu machen, wenn ihm das Kunststück gelingt, entlang der gesamten Wegstrecke nicht auf die Fugen zwischen den Rinnsteinen zu treten, wird er fraglos gerettet sein.
    Im Frühjahr versäumt Cornelius sich gern und oft, weil er gebannt dem Lauf kleiner Schmelzwasser folgt, die sich aus dem auftauenden Eis der Schneewächten am Straßenrand speisen, und den in ihrem Sog treibenden Stöckchen und Zigarettenkippen. Bis zum Abfluss in die Kanalisation nehmen die Rinnsale meist einen stockenden Verlauf, da die Gitter noch von den groben Hinterlassenschaften des Winters verstopft sind. Je weiter ein Stöckchen auf seiner gefahrvollen Reise gelangt, je mehr Schnellen und Widerstände es überwindet oder umschifft, desto günstiger mag es um den Jungen stehen, desto länger aufgeschoben bleibt der gefürchtete Termin seiner Bestrafung.
    Nach einer unsicheren Zeit der Eingewöhnung, in deren Verlauf Zuversicht und Mutlosigkeit sich die Waage hielten, hat seine Aufmerksamkeit in den lichten Räumen der neuen Schule merklich nachgelassen, er ist fahrig geworden, macht seine Hausaufgaben entweder überhaupt nicht oder nur noch schlampig, die meiste Zeit sitzt er mit verschränkten Armen und verkniffener Miene abweisend in der Bank, höchst sporadisch nur beteiligt er sich am Unterricht, während der Stunden verkriecht er sich in einem schmuddeligen Anorak, den er zu keiner Zeit ablegt. Dazu steckt er in ernsthaften Schwierigkeiten: Der Klassenlehrer hat ihm eine rigorose Ermahnung in das Hausaufgabenheft geschrieben, die er von einem seiner Erziehungsberechtigten unterschreiben lassen soll. Das Heft hat er aber zu Hause nicht vorgezeigt, sondern am nächsten Morgen, nach einem unruhigen, von Albträumen heimgesuchten Schlaf, mit zitternder Hand die Unterschrift seiner Großmutter unter den Schrieb des Lehrers gesetzt, eine krakelige Fälschung, die dem Pädagogen, dem er das Heft zu Unterrichtsbeginn vorlegen musste, sofort ins Auge stach. Nun ist der längst fällige Verweis unterwegs, der blaue Brief dürfte eigentlich schon im Briefkasten liegen; jeden Tag erwartet er ein Donnerwetter, das sich gewaschen hat. Doch das Eintreffen der Katastrophe verzögert sich; soeben ist er gedankenschwer und achtlos an Onkel Ludwig vorbeigegangen. Der Kriminaler isst regelmäßig bei Lena zu Mittag, um die Verdauung zu erleichtern, macht er sich danach wieder zu Fuß auf zur unweit der Schule gelegenen Dienststelle. Nicht selten kreuzen sich daher ihre Wege. Im beigen Tweedsakko und in tadellos gebügelter Flanellhose, vom Scheitel bis zur Sohle distinguierter Beamter, schlendert Ludwig an dem Jungen vorbei, jedoch ohne ihn anzusprechen, er schüttelt nur halb verärgert und halb belustigt den Kopf über dessen verträumte Unachtsamkeit. Offenbar weiß er noch nichts von einem blauen Brief. Das mit anderweitigen Arbeiten ausgelastete Schulsekretariat hat sich mit dem Abschicken Zeit gelassen. Aufgeschoben ist aber noch lange nicht aufgehoben; dennoch atmet der Junge erleichtert

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