Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)
auf, als ihm daheim keine bedrückende Stimmung entgegenschlägt. Nun liegt wieder ein Nachmittag vor ihm, dessen kostbare Stunden und Minuten er bis zur letzten Neige auskosten will. Seinetwegen könnten sie sich ruhig so lange hinziehen wie ein ganzes Leben.
Fast über die gesamte Dauer des Schuljahres hinweg quält ihn ein Mitschüler mit ausgesuchter Raffinesse und Grausamkeit. Cornelius’ Diplomatie, sich mit Leuten, die ihn bedrohen könnten, gut zu stellen, wird an der abgefeimten Schläue eines sportlich durchtrainierten, kurzgeschorenen Grobians zuschanden, den er allzu vertrauensvoll darum gebeten hat, ihn vor Unterrichtsbeginn noch rasch einige Gleichungen aus seinem Hausaufgabenheft abschreiben zu lassen; wieder einmal hat er seine Matheaufgaben nicht gemacht oder schlichtweg vergessen. Bevor ihm der Bursche aber den Gefallen tut, nötigt er dem Jungen erst einmal ein Versprechen ab; er verlangt nämlich, denn
umsonst ist nur der Tod
und
eine Hand wäscht die andere
, dass ihm, gewissermaßen als Entgelt für sein Entgegenkommen, genau bezeichnete seltene Briefmarken aus Ludwigs Sammlung, mit deren Vorhandensein Cornelius einmal geprahlt hat, ausgehändigt werden sollen. In erster Bedrängnis willigt Cornelius zwar ein, schreckt aber zuletzt doch davor zurück, einen kaltschnäuzigen Diebstahl zu begehen. Mit jedem weiteren Tag, der ohne Ablieferung der wertvollen Briefmarken verstreicht, dringt der enttäuschte Sportsfreund umso hartnäckiger auf unbedingte Einhaltung der ihm so leichtfertig gegebenen Zusage, den Ernst seines Ansinnens unterstreicht er mit fiesen kleinen Übergriffen, mannigfaltige Kostproben fein abgestufter Gewaltanwendungen lässt er den Jungen schmecken, er piesackt und drangsaliert ihn, reißt ihm Schulhefte aus der Hand und wirft sie aus dem Fenster, zerbricht seine Stifte, stößt ihn herum, droht ihm Schläge an.
In immer tiefere Bedrängnis geratend, entschließt sich Cornelius endlich schweren Herzens dazu, seinem Onkel eine Anzahl Marken zu entwenden, doch nur solche, die ohnehin doppelt vorhanden und nicht wirklich wertvoll sind. Mit etwas Glück, denkt er, wird ihr Fehlen vielleicht gar nicht auffallen. Damit hat ihn der gemeine Rabauke natürlich in der Hand. Mit Wert und Umfang des Erhaltenen nicht zufrieden, droht er nun, von Cornelius’ hell auflodernder Angst ungerührt, den Diebstahl auffliegen zu lassen und sich direkt an den Onkel zu wenden. Als Kitt für den Bruch ihrer Abmachung und als Wiedergutmachung fordert er nicht nur die ihm angeblich von Rechts wegen zustehenden raren Marken ein, sondern einen zusätzlichen, mit mindestens ebenso wertvollen Raritäten fingerdick gefüllten Briefumschlag.
Der eingeschüchterte, durch die Erpressung kopfscheu gemachte Cornelius weiß nicht mehr ein noch aus; in einsamer Verzweiflung händigt er seinem Peiniger nach und nach einen beträchtlichen Teil der eigenen Sammlung aus, zwei große Alben, dicht gesteckt mit frankierten Marken, nach Ländern geordnet und nach Motiven, aber leider lässt sich der Unhold damit nicht abspeisen; je mehr er bekommt, desto unverschämter wird er, umso maßloser und phantastischer geraten seine Forderungen. Schließlich belässt er es nicht mehr nur bei wüsten, aber leeren Drohungen und kleinen, nüchtern kalkulierten Handgreiflichkeiten, er fügt dem Jungen brutale Verletzungen mit dem Zirkel oder dem Lineal zu, schlägt ihn hinterrücks mit der Faust auf den Kopf, er foltert und schikaniert ihn auf jede nur erdenkliche Art, zuletzt verdreht er ihm schmerzhaft den Arm und stößt dabei in wütender Raserei vollkommen absurde Verwünschungen aus. Zu Cornelius’ Erleichterung nahen endlich die Sommerferien, die zumindest dieser Drangsal ein Ende bereiten. Gottlob wird er im nächsten Schuljahr nicht versetzt werden und folglich mit einigem Geschick das tägliche Aufeinandertreffen mit seinem zähen Verfolger vermeiden können.
doch selbst in den ferien hält die angst vor seinem schinder vor cornelius meint ihn eines nachmittags am gang und an der silhouette erkannt zu haben an der gegenüberliegenden bushaltestelle schälte sich die gefürchtete gestalt aus der menge der aussteigenden und war einen augenblick später schon wieder im strom der passanten verschwunden was hat der rabauke so nah an der wohnung seines vormunds zu schaffen er wohnt doch droben im neubaugebiet und kommt sonst nie herunter in das brudermühlviertel wahrscheinlich will er die drohung wahrmachen und ihn endlich
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