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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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dem netten, schlauen neuen Gesundheitsdirektor erzählt? Er hat mich restlos geheilt.«
    »Dein lieber Bart.«
    »Komplett weg. Eine Operation, die der neue Direktor selbst erfunden hat. Sie wird wohl nach [400] ihm benannt werden, vielleicht sogar nach mir. Er ist so selbstlos, dass er sie die Clara’sche Operation nennen will. Er hat die ganze Haut abgenommen und sie mit einer wunderbaren neuen Substanz ersetzt, einer Art synthetischem Gummi, das Schminke hervorragend annimmt. Er sagt, die Farbe ist nicht perfekt, aber auf der Bühne wird man das gar nicht sehen. Hier, fühl mal.«
    Freudig und stolz setzte sie sich im Bett auf.
    Augen und Stirn waren alles, was von dem geliebten Gesicht geblieben war. Darunter etwas Unmenschliches, eine enganliegende, glatte Maske, lachsrosa.
    Miles starrte sie an. Auf dem Fernsehbildschirm am Bett waren weitere Personen erschienen – Arbeiter aus der Lebensmittelproduktion. Sie schienen einen spontanen Streik auszurufen, ließen ihre Schafe stehen und liefen auf Anweisung eines verwegen kostümierten Gewerkschafters davon. Aus dem Apparat am Bett erklang ein Lied, eine alte, vergessene Weise:
    »…ich bring euch gute neue Mär, der guten Mär bring ich so viel, davon ich singen und sagen will.«
    Miles unterdrückte ein Würgen. Das grauenhafte Gesicht betrachtete ihn voll Rührung und Stolz. Schließlich fielen ihm die richtigen Worte [401] ein, der abgedroschene, altgewohnte Satz, mit dem sich vor ihm schon Generationen von verdatterten und verstörten Engländern beholfen hatten: »Ich geh mal kurz eine Runde spazieren.«
    Aber fürs Erste ging er nur zu seinem Wohnheim. Dort legte er sich hin, bis der Mond durchs Fenster auf sein schlafloses Gesicht schien. Dann brach er auf und marschierte querfeldein, nur fort vom Sicherheitsdom, bis zwei Stunden später der Mond kurz vor dem Untergehen war.
    Er war blindlings ausgeschritten, jetzt aber fielen die weißen Strahlen auf ein Schild, und er las: »Mountjoy ¾ Meilen«. Nur die Sterne leuchteten ihm den Weg, als er weiterging. Schließlich kam er an das Schlosstor.
    Es stand wie immer offen als huldvolles Symbol des neuen Strafvollzugs. Er folgte der Auffahrt. Das ganze lichtlose Antlitz des alten Hauses blickte ihn schweigend an, ohne Vorwurf. Er wusste jetzt, was zu geschehen hatte. Er trug in der Tasche ein Feuerzeug mit sich, das häufig funktionierte. Jetzt funktionierte es für ihn.
    Petroleum war nicht nötig. Die trockene alte Seide der Salonvorhänge brannte wie Papier. Farbe und Holztäfelung, Stuck und Wandteppiche und Vergoldung ergaben sich der Umarmung der hochschlagenden Flammen. Er trat hinaus. Schon [402] bald wurde es auf der Terrasse zu heiß, und er zog sich weiter zurück, zum Marmortempel am Ende der langen Promenade. Die Mörder sprangen aus den Erdgeschossfenstern, aber die Sexualverbrecher im Obergeschoss saßen in der Falle und brüllten vor Angst und Schrecken. Er hörte die Lüster niederkrachen und sah das kochende Blei in Wellen vom Dach rinnen. Das war viel besser, als ein paar Pfauen den Hals umzudrehen. Mit stillem Jubel verfolgte er, wie es Minute um Minute neue Wunder zu bestaunen gab. Mächtige Balken donnerten innen herab; draußen verzischten brennende Trümmer im Seerosenteich; eine ungeheure Rauchdecke schob sich vor die Sterne, und darunter stiegen Flammenzungen zu den Baumwipfeln empor.
    Als zwei Stunden später das erste Löschfahrzeug eintraf, hatte sich der Feuersturm bereits ausgetobt. Miles erhob sich von seinem Marmorthron und trat den langen Heimweg an. Doch seine Müdigkeit war verflogen. Fröhlich schritt er aus, zusammen mit seinem Schatten, den die ersterbende Feuersbrunst vor ihn auf die Feldstraße warf.
    Auf der Hauptstraße hielt ein Autofahrer an und fragte ihn: »Was ist da drüben los? Brennt da ein Haus?«
    [403] »Es hat gebrannt«, sagte Miles. »Jetzt ist das Feuer fast aus.«
    »Sieht aus wie was Großes. Nur Staatseigentum, nehme ich an?«
    »Sonst nichts«, sagte Miles.
    »Na, steigen Sie ein, wenn Sie mitfahren wollen.«
    »Danke«, sagte Miles. »Ich gehe gern zu Fuß.«
    V
    Nach zwei Stunden Schlaf stand Miles auf. Im Wohnheim herrschte das übliche geschäftige Treiben des Morgens. Das Radio lief; die Unterbeamten husteten über ihren Waschbecken; der üble Geruch staatlicher Würstchen, die in staatlichem Fett brieten, füllte die Asbestkabine. Er war nach seinem langen Marsch ein wenig steif und ein wenig fußlahm, aber innerlich war er ruhig und leer

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