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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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sprach zwanzig Minuten. »…Das große Experiment muss fortgeführt werden… die Märtyrer der sozialen Fehlanpassung dürfen nicht umsonst gestorben sein… Ein größeres, neues Mountjoy wird sich aus der Asche des alten erheben…« Schließlich kamen die Tränen – echte Tränen, denn er hielt unsichtbar eine Zwiebel in der Hand – und liefen ihm über die Wangen. Damit endete die Rede.
    »Nur deswegen bin ich gekommen«, sagte Miles und überließ Clara wieder ihrer Kakaobutter und ihrem Gesichtshandtuch.
    [408] Am nächsten Tag ritten sämtliche öffentlichen Informationsorgane weiter auf dem Thema Mountjoy herum. Zwei oder drei Patienten, die die Berichterstattung schon satthatten, meldeten sich zur Auslöschung an und wurden mit Freuden abserviert. Da traf eine Anweisung vom Bezirksleiter ein, dem höchsten Beamten von Satellite City. Er ordnete das sofortige Erscheinen von Miles in seinem Büro an.
    »Ich habe einen Marschbefehl für Sie, Mr. Plastic. Sie sollen sich bei den Ministern für Wohlfahrt und für Erholung und Kultur melden. Sie werden für die Fahrt mit einem 1 A -Hut, einem Schirm und einer Aktentasche ausgestattet. Herzlichen Glückwunsch.«
    Mit diesen Insignien einer plötzlichen, schwindelerregenden Beförderung versehen, reiste Miles in die Hauptstadt und ließ einen Dom voll neidisch tratschender Unterbeamter zurück.
    Am Bahnhof holte ihn ein Beamter ab. Gemeinsam fuhren sie in einer Staatskarosse nach Whitehall.
    »Lassen Sie mich Ihre Aktentasche tragen, Mr. Plastic.«
    »Es ist nichts drin.«
    Miles’ Begleiter lachte devot über diesen gewagten Scherz.
    [409] Im Ministerium funktionierten die Aufzüge. Es war eine neue und beunruhigende Erfahrung, den kleinen Käfig zu betreten und in dem großen Gebäude ganz nach oben zu fahren.
    »Funktionieren die hier immer?«
    »Nicht immer, aber sehr, sehr oft.«
    Miles erkannte, dass er sich tatsächlich im Zentrum der Macht befand.
    »Warten Sie hier. Ich werde Sie rufen, wenn die Minister so weit sind.«
    Miles sah aus dem Wartezimmerfenster auf die langsamen Verkehrsströme. Direkt unter ihm stand ein merkwürdiges, nutzloses Verkehrshindernis aus Stein. Ein sehr alter Mann zog im Vorbeigehen den Hut davor, als grüßte er einen Bekannten. Warum?, fragte sich Miles. Da wurde er zu den Politikern gebracht.
    Sie waren allein in ihrem Büro, abgesehen von einer abstoßend hässlichen jungen Frau. Der Minister für Erholung und Kultur sagte: »Machen Sie es sich bequem, mein Lieber«, und deutete auf einen großen Kunstledersessel.
    »Der Anlass ist leider nicht so erfreulich wie bei unserer letzten Begegnung«, sagte der Minister für Wohlfahrt.
    »Ach, ich weiß nicht«, sagte Miles. Er genoss den Ausflug.
    [410] »Die Tragödie in Mountjoy Castle war ein herber Schlag für die Sache des Strafvollzugs.«
    »Aber das große Werk der Resozialisierung wird weitergehen«, sagte die abstoßend hässliche junge Frau.
    »Ein größeres Mountjoy wird aus der Asche erstehen«, sagte der Minister.
    »Diese edlen Verbrecher sollen ihr Leben nicht umsonst verloren haben.«
    »Ihr Andenken wird uns beflügeln.«
    »Ja«, sagte Miles. »Ich habe die Übertragung gehört.«
    »Genau«, sagte der Minister. »Sehr richtig. Dann verstehen Sie vielleicht, in welcher Weise der Vorfall Ihre eigene Stellung verändert. Statt, wie wir hofften, der Erste einer fortlaufenden Reihe von Erfolgen zu sein, sind Sie jetzt unser einziger. Es wäre nicht übertrieben zu behaupten, dass die ganze Zukunft des Strafvollzugs in Ihren Händen liegt. Die Zerstörung von Mountjoy Castle allein war nur ein Rückschlag. Ein bedauerlicher, gewiss, aber man könnte ihn durchaus unter den Wachstumsschmerzen eines großen Aufbruchs verbuchen. Doch die Sache hat eine dunklere Seite. Wie ich Ihnen, glaube ich, seinerzeit sagte, wurde unser großes Experiment gegen erheblichen Widerstand durchgesetzt. Jetzt – ich [411] sage das im Vertrauen – ist dieser Widerstand vernehmlich und hemmungslos geworden. Es gibt tatsächlich eine Verleumdungskampagne, wonach der Brand kein Unfall war, sondern die Tat eines der nämlichen Männer, denen wir behilflich sein wollten. Diese Kampagne muss im Keim erstickt werden.«
    »Die können uns nicht so leicht in die Pfanne hauen, wie sie meinen«, sagte der Minister für Erholung und Kultur. »Wir alten Hasen kennen da auch ein paar Tricks.«
    »Genau. Gegenpropaganda. Sie sind unser Musterbeispiel. Der unwiderlegliche Beweis für den Sieg unseres

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