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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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Unterton [396] sämtlicher Tätigkeiten im Kopf, und nachts lag er wach und wiederholte sich innerlich jedes Wort, das zwischen ihnen gefallen war, und jede intime Handlung.
    Nach einer Woche überkam ihn der Gedanke an sie nur noch in regelmäßigen Anfällen. Das Thema langweilte ihn maßlos. Er versuchte, es sich aus dem Kopf zu schlagen, ähnlich wie jemand versuchen mochte, einen Schluckauf zu unterdrücken, und genauso vergeblich. Anfallartig, automatisch kehrte der Gedanke an Clara zurück. Er guckte auf die Uhr und stellte fest, dass er alle siebeneinhalb Minuten kam. Er schlief mit dem Gedanken an sie ein, er wachte mit dem Gedanken an sie auf. Aber zwischenzeitlich schlief er. Er konsultierte den Abteilungspsychiater, der ihm erklärte, die Verantwortung der Vaterschaft belaste ihn. Doch es war nicht die Mutter Clara, die ihm keine Ruhe ließ, sondern die Verräterin Clara.
    In der nächsten Woche dachte er alle zwanzig Minuten an sie. In der Woche darauf dachte er in unregelmäßigen Abständen an sie, wenn auch häufig; nur wenn irgendein äußerer Anstoß ihn an sie erinnerte. Er fing an, nach anderen Mädchen zu schauen, und betrachtete sich als geheilt.
    Er schaute den anderen Mädchen fest in die [397] Augen, wenn er in den düsteren Fluren des Doms an ihnen vorbeiging, und sie schauten keck zurück. Dann hielt ihn eine an und sagte: »Ich habe Sie mal mit Clara gesehen«, und bei der Erwähnung ihres Namens verging ihm vor Schmerz jedes Interesse an dem anderen Mädchen. »Ich war sie gestern besuchen.«
    »Wo?«
    »Im Krankenhaus natürlich. Wussten Sie das nicht?«
    »Was ist mit ihr?«
    »Das sagt sie nicht. Und auch sonst niemand im Krankenhaus. Streng geheim. Wenn Sie mich fragen, hat sie einen Unfall gehabt, und ein Politiker ist darin verwickelt. Einen anderen Grund für das ganze Getue kann ich mir nicht vorstellen. Sie ist am ganzen Körper einbandagiert und quietschfidel.«
    Am nächsten Tag, dem fünfundzwanzigsten Dezember, war Weihnachtsmanntag; kein Feiertag in der Euthanasieabteilung, deren Dienstleistung zur Grundversorgung gehörte. Am Abend marschierte Miles zum Krankenhaus, einem der nicht fertiggestellten Gebäude, vorn lauter Beton, Stahl und Glas und dahinter ein Haufen wild durcheinanderstehender Baracken. Der Pförtner saß gebannt vor dem Fernseher, in dem ein altes [398] vergessenes Volksstück lief, das frühere Generationen am Weihnachtsmanntag aufgeführt hatten und das jetzt aus historischem Interesse wiederbelebt und neu bearbeitet worden war.
    Für den Pförtner war es von professionellem Interesse, denn es handelte von der Entbindungshilfe vor den Tagen des Wohlfahrtsstaats. Er nannte Miles die Nummer von Claras Zimmer, ohne von dem seltsamen Spektakel um einen Ochsen und einen Esel, einen alten Mann mit einer Laterne und eine junge Mutter aufzuschauen. »Die Leute hier beklagen sich andauernd«, sagte er. »Sie sollten sich mal klarmachen, was für Verhältnisse vor dem Großen Fortschritt geherrscht haben.«
    Die Korridore hallten von Musik aus vielen Geräten wider. Miles fand die Baracke, die er suchte. Sie trug die Aufschrift »Experimentalchirurgie – Zutritt nur für medizinisches Personal«. Er fand die Kabine. Er traf Clara schlafend an, das Laken bis zu den Augen gezogen, die Haare offen auf dem Kissen. Sie hatte einen Teil ihrer Habe mitgebracht. Ein altes Schultertuch lag über dem Nachttisch. Ein bemalter Fächer lehnte am Fernsehapparat. Sie erwachte, ehrliche Freude im Blick, und zog das Laken höher, so dass sie hindurchsprach.
    [399] »Liebling, du hättest nicht herkommen sollen. Ich wollte dich damit überraschen.«
    Miles setzte sich aufs Bett und wusste nichts anderes zu sagen als: »Wie geht’s dir?«
    »Großartig. Heute ist der Verband abgenommen worden. Ich darf noch nicht in den Spiegel schauen, aber sie sagen, dass das Ganze ein riesengroßer Erfolg ist. Ich bin etwas ganz Besonderes, Miles, ein neues Kapitel des chirurgischen Fortschritts.«
    »Aber was ist mit dir geschehen? Hängt es irgendwie mit dem Kind zusammen?«
    »Ach nein. Das heißt, anfangs schon. Das war die erste Operation. Aber das ist längst vorbei.«
    »Unser Kind?«
    »Ja, das musste weg. Ich hätte hinterher nie wieder tanzen können. Das habe ich dir ja alles erklärt. Nur aus dem Grund hatte ich schließlich die Klugmann’sche Operation, weißt du nicht mehr?«
    »Aber du hast das Tanzen doch aufgegeben.«
    »Das ist ja gerade das Tolle daran. Habe ich dir nicht von

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