Waugh, Evelyn
wie der Schlaf, aus dem er erwacht war. Die Politik der verbrannten Erde hatte gewirkt. Er hatte in seiner Innenwelt eine Wüste geschaffen, die er als Frieden bezeichnen konnte. Einst hatte er schon seine Kindheit verbrannt. Jetzt lag sein kurzes Erwachsenenleben in Schutt und Asche; der Zauber, der Clara umgab, war [404] eins mit der Pracht von Mountjoy; ihr voller goldblonder Bart eins mit den Flammenzungen, die emporgeschossen und unter den Sternen erloschen waren; ihre Fächer und Bilder und alten Stickereien eins mit den goldenen Deckleisten und seidenen Vorhängen: schwarz, kalt und klitschnass. Er verzehrte sein Würstchen mit Appetit und ging zur Arbeit.
Auch in der Euthanasieabteilung war alles still.
Die erste Meldung des Unglücks in Mountjoy war in den Frühnachrichten gekommen. Die Nähe zu Satellite City sorgte dort für eine besondere Betroffenheit.
»Es ist ein bezeichnendes Phänomen«, sagte Dr. Beamish, »dass schlechte Nachrichten eine unmittelbare Auswirkung auf unseren Dienst haben. Man erlebt es jedes Mal, wenn es eine internationale Krise gibt. Manchmal glaube ich, die Leute suchen uns nur auf, wenn sie nichts haben, worüber sie reden können. Haben Sie sich unsere Schlange heute schon mal angeschaut?«
Miles trat ans Periskop. Nur ein einzelner Mann wartete draußen, der alte Parsnip, ein Dichter aus den dreißiger Jahren, der täglich kam, gewöhnlich aber in der Menschenmenge nach hinten gedrängt wurde. Er galt in der Abteilung als komische Figur, dieser altgediente Poet. Zweimal in Miles’ [405] kurzer Dienstzeit war es ihm gelungen, eingelassen zu werden, und beide Male hatte er es plötzlich mit der Angst zu tun bekommen und Reißaus genommen.
»Ein Glückstag für Parsnip«, sagte Miles.
»Ja. Er hat etwas Glück verdient. Ich kannte ihn früher gut, ihn und seinen Freund Pimpernell. New Writing, der Left Book Club, das war damals aktuell. Pimpernell war einer meiner ersten Patienten. Holen Sie Parsnip rein, und wir erledigen ihn.«
Also wurde der alte Parsnip hereingerufen, und an diesem Tag behielt er die Nerven. Er war halbwegs ruhig, als er in der Gaskammer Pimpernells Nachfolge antrat.
»Wir könnten jetzt eigentlich auch Feierabend machen«, sagte Dr. Beamish. »Wenn die Aufregung sich legt, werden wir bald wieder zu tun haben.«
Doch die Politiker schienen entschlossen zu sein, die Aufregung weiter anzuheizen. Das normale Fernsehprogramm wurde unterbrochen und gekürzt, um Mountjoy mehr Sendezeit einzuräumen. Überlebende erschienen auf dem Bildschirm, darunter Soapy, der beschrieb, wie seine lange Erfahrung als Fassadenkletterer ihm die Flucht ermöglicht hatte. Mr. Sweat, bemerkte er mit [406] Hochachtung, war unbeschadet davongekommen. Die Trümmer wurden von dem Apparat ausführlich gezeigt. Ein Triebverbrecher mit gebrochenen Beinen hielt in seinem Krankenhausbett Audienz. Der Wohlfahrtsminister, kam die Ansage, werde an dem Abend eigens eine Ansprache zu dem Unglück halten.
Miles nickte zwischendurch immer mal wieder neben dem Wohnheimapparat ein. Gegen Abend erhob er sich, immer noch ruhig und unbeschwert, aller Emotionen dermaßen entleert, dass er Clara abermals im Krankenhaus besuchte.
Sie hatte den Nachmittag mit dem Schminkkästchen vor dem Spiegel zugebracht. Die neue Substanz ihres Gesichts erfüllte alle Versprechungen des Chirurgen. Sie nahm Schminke perfekt an. Clara hatte eine komplette Maske aufgelegt wie für einen Bühnenauftritt: gleichmäßig sahneweiß mit knallroten Flecken auf den Wangenknochen, riesige harte rote Lippen, verlängerte und katzenartig hochgebogene Brauen, ultramarinblauer Lidschatten rings um die Augen und rote Tupfen in den Augenwinkeln .
»Du bist der Erste, der mich zu Gesicht bekommt«, sagte sie. »Ich hatte schon halb befürchtet, du würdest nicht kommen. Du hast gestern verärgert gewirkt.«
[407] »Ich wollte fernsehen«, sagte Miles. »Im Wohnheim ist es so voll.«
»Langweiliges Zeug heute. Nichts als dieses Gefängnis, das abgebrannt ist.«
»Ich war da mal. Weißt du nicht mehr? Ich habe oft davon erzählt.«
»Tatsächlich, Miles? Kann sein. Ich habe so ein schlechtes Gedächtnis für Sachen, die mich nicht betreffen. Willst du dir wirklich den Minister anhören? Es wäre doch viel gemütlicher, sich zu unterhalten.«
»Seinetwegen bin ich gekommen.«
Und kurz darauf erschien der Minister, mit offenem Hemdkragen wie immer, aber ohne sein gewohntes Lächeln; so ernst, dass er den Tränen nahe war. Er
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