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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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weilende Prediger zogen oft eine Lehre aus den Enttäuschungen, Ungewissheiten und dem Endergebnis dieser »Vision« des Gründers. Jetzt erhob sich das Mittelschiff triumphierend über der Landschaft ringsum, ein Kreuzgewölbe, von gewaltigen garbenförmigen Säulen getragen; auf der Westseite endete es abrupt in Beton, Holz und Wellblech, dahinter, auf einer Brache bei den Küchen, wo die Korpskapelle frühmorgens mit ihren Hörnern übte, stand eine von Brennnesseln und Brombeeren überwucherte Ruine: die Basis des Turms, der sich eines Tages erheben sollte, zweimal so hoch wie die Kirche, so dass nach dem Willen des Gründers in Sturmnächten von seiner Spitze aus für die draußen in Gefahr geratenen Seeleute gebetet werden konnte.
    Von außen hatten die Fenster eine tiefblaue [301] Tönung, aber von innen waren sie klar, und die Morgensonne strömte ungehindert auf den Altar und die versammelten Schüler. Der Aufsichtsschüler in Charles’ Reihe war Symonds, Herausgeber der Schülerzeitung und Vorsitzender des Debattierclubs – der führende Intellektuelle an der Schule. Symonds wohnte in Head’s House; er lebte wie ein Privatgelehrter, kam selten in die Abendaufgabenstunde, machte nie Sport, höchstens mal im Sommertrimester ein gelegentliches spätabendliches Tennis-Einzel; selbst in der Sechsten ließ er sich nur selten sehen, sondern büffelte privat unter der Anleitung von Mr. A. A. Carmichael für ein Balliol-Stipendium. Symonds hatte an seinem Platz in der Kirche eine ledergebundene Ausgabe der Griechischen Anthologie, in der er während des Gottesdienstes mit der größten Selbstverständlichkeit las.
    Die Lehrer saßen in den nach Osten ausgerichteten Kirchenbänken zwischen den Säulen, die Theologen in Chorhemden, die Laien in ihren Talaren. Einige Lehrer, die den naturwissenschaftlichen Zug unterrichteten, trugen dazu Überwürfe von den neueren Universitäten; Major Stebbing, der Adjutant des Kadettenkorps, hatte gar keinen Talar; Mr. A. A. Carmichael – in [302] Spierpoint ehrfürchtig nur A. A. genannt –, der brillante Dandy und Schöngeist; die Blüte der Oxford Union und der New College Essay Society; der Rezensent gelehrter Werke über das klassische Altertum für den New Statesman, mit dem Charles noch nie ein Wort gesprochen hatte, den Charles noch nie unmittelbar hatte sprechen hören, sondern nur aus dritter Hand, nachdem seine exzentrischen Bonmots von der Sechsten Klasse, dem Allerheiligsten, zu den Novizen an der Tür weitergetragen worden waren; dieser Mr. Carmichael, den Charles aus der Ferne verehrte, trug von seinen zahlreichen akademischen Kostümen heute Morgen den Talar eines Bakkalaureus von Salamanca. Wie er sich über sein Pult beugte, sah er aus wie der Anwalt der Anklage auf einer Karikatur von Daumier.
    Ihm fast genau gegenüber auf der andern Seite der Kirche stand Frank Bates; eine unüberbrückbare Schlucht von Schülern trennte die beiden rivalisierenden und gegensätzlichen Gottheiten, der eine ein unbeschreiblicher Bewohner des umwölkten Olymps, der andere ein häuslicher Abgott aus Ton, der Schutzherr von Heim und Herd, Tenne und Olivenpresse. Frank trug einen Hermelinüberwurf, den Talar eines Bachelor of Arts und darunter nur salopp unauffällige, heute [303] dunkle Kleidung mit der Krawatte der Corinthians, die sich Woche um Woche mit der von Charter House abwechselte. Er war eine adrette, hagere Erscheinung, lockig und ein wenig blässlich, denn nach einer Fußballverletzung, die ihn hinken ließ und während des Krieges dafür sorgte, dass er in Spierpoint bleiben konnte, litt er an ständigen Schmerzen, die ihn jeder Herzlichkeit enthoben. In der Kirche nahmen seine unschuldigen blauen Augen einen eher mürrischen Ausdruck an, wie bei einem altmodischen Kind in einem Zimmer voller Erwachsener. Frank war der Sohn eines Bischofs.
    Hinter den Lehrern saßen, unsichtbar in den Seitenschiffen, Hausmütter und Ehefrauen in einem buntgewürfelten Haufen.
    Der Gottesdienst begann mit dem Einzug des Chors: »Heil dem festlichen Tag« erklang, wobei Wykham-Blake das Sopransolo sang. Am Ende der Prozession kamen Mr. Peacock, der Kaplan und der Direktor. Vorige Woche war Charles mit Tante Philippa in London in die Kirche gegangen. Er pflegte sonst in den Ferien nicht in die Kirche zu gehen, aber da sie die ganze letzte Woche in London verbrachten, hatte Tante Philippa gesagt: »Wir können heute nicht viel unternehmen. Sehen wir doch mal, was die Kirche uns an [304]

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