Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
Vom Netzwerk:
Unterhaltung zu bieten hat. Es soll da so einen richtig ulkigen Kerl geben, der sich Father Wimperis nennt.« Sie waren also zusammen mit dem Bus in einen nördlichen Bezirk gefahren, wo Mr. Wimperis damals große Scharen anlockte. Seine Predigt sei nach neapolitanischen Maßstäben nicht theatralisch zu nennen, hatte Tante Philippa hinterher gesagt, »aber er hat mir einen Riesenspaß gemacht. Er ist so unwiderstehlich gewöhnlich.« Zwanzig Minuten lang hatte Mr. Wimperis von der Kanzel herab abwechselnd gesäuselt und gedonnert, mit seinem Lesepult gerungen und das Land zu sozialem Frieden ermahnt. Am Ende hatte er sich zu einer von ihm selbst erdachten kleinen Zeremonie in Chormantel und Birett an die Kirchentreppe gestellt und aus einem silbernen Gefäß, das sich als ein großes Salzfässchen entpuppte, Salz vor sich auf den Boden gestreut und dazu gesagt: »Mein Volk. Ihr seid das Salz der Erde.«
    »Ich glaube, er hat jede Woche etwas Neues in der Art«, sagte Tante Philippa. »Es muss köstlich sein, bei ihm in der Nachbarschaft zu wohnen.«
    Charles kam nicht aus einem gottesfürchtigen Haus. Bis August 1914 hatte sein Vater die Gewohnheit beibehalten, jeden Morgen das Familiengebet zu sprechen; nach Ausbruch des Krieges [305] hörte er abrupt damit auf und erklärte dazu auf Nachfragen, dass es ja nun nichts mehr gebe, worum man beten könne. Als Charles’ Mutter starb, gab es einen Gedächtnisgottesdienst für sie in Boughton, ihrem Heimatdorf, aber Charles’ Vater ließ ihn und Tante Philippa allein hingehen. »Alles nur ihr verdammter Patriotismus«, sagte er, nicht zu Charles, sondern zu Tante Philippa, die diese Bemerkung erst viele Jahre später wiedergab. »Sie hatte da unten in Serbien nichts verloren. Meinst du, es ist meine Pflicht, wieder zu heiraten?«
    »Nein«, sagte Tante Philippa.
    »Dazu könnte mich auch nichts bringen, und zuallerletzt meine Pflicht.«
    Der Gottesdienst nahm seinen Lauf. Zwei der kleinen Jungen fielen in Ohnmacht, was öfter vorkam, und wurden von Aufsichtsschülern hinausgetragen; ein dritter ging mit blutender Nase von selbst. Mr. Peacock trug die Lesung überlaut vor. Es war sein erster öffentlicher Auftritt. Symonds sah von seinem Griechisch auf, runzelte die Stirn und las weiter. Bald war es Zeit für die Kommunion; die meisten Jungen, die gefirmt waren, gingen zur Kommunionbank, Charles mit ihnen. Symonds drückte sich nach hinten in die Bank, drehte die langen Beine in den Mittelgang, [306] um sie durchzulassen, blieb aber selbst sitzen. Charles empfing die Kommunion und kehrte in seine Bank zurück. Er war im letzten Trimester gefirmt worden, ohne Neugier, ohne Erwartung oder Enttäuschung. Als er in seinem späteren Leben von den Emotionsstürmen las, die andere Jungen bei dieser Zeremonie erlebten, fand er sie unverständlich; für Charles war das nur so eine Art Mannbarkeitsritus, etwa wie wenn man sich als neuer Schüler auf den Tisch stellen und singen muss. Der Kaplan hatte ihn »vorbereitet« und sich dabei auf theologische Fragen beschränkt. Er hatte nicht in seinem Sexualleben herumgestochert; da gab es nichts zu stochern. Stattdessen hatten sie über Gebete und Sakramente gesprochen.
    Spierpoint war ein Produkt der Oxford-Bewegung, gegründet mit erklärten religiösen Zielen; in achtzig Jahren war es den älteren Internaten immer ähnlicher geworden, aber die Schule hatte noch immer ein starkes ekklesiastisches Flair. Manche Schüler waren regelrechte Frömmler, und ihre Sonderlichkeit wurde respektiert; Blasphemie war selten und schlecht angesehen. In der Sechsten bekannten sich die meisten zum Agnostizismus oder Atheismus.
    Die Schule war für Charles ausgesucht [307] worden, weil er mit elf Jahren eine »religiöse Phase« gehabt und seinem Vater erklärt hatte, er wolle Priester werden.
    »Du lieber Himmel«, sagte sein Vater, »oder meinst du etwa Pfaffe?«
    »Priester der anglikanischen Kirche«, präzisierte Charles.
    »Das klingt besser. Ich dachte schon, ein katholischer. Also, Pfaffe ist für einen jungen Mann, der selbst nicht viel Geld hat, gar nicht so übel. Man kann ihn nicht wieder hinauswerfen, höchstens wegen flagranter Unmoral. Dein Onkel in Boughton hat zehn Jahre lang versucht, den dortigen Pfarrer loszuwerden – ein Widerling war das, aber die Keuschheit selbst. Er ließ sich nicht vom Fleck bewegen. Es ist eine großartige Sache im Leben, ein Plätzchen zu haben, von dem man nicht wegzukriegen ist – gibt viel zu wenige

Weitere Kostenlose Bücher