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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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davon.«
    Aber die »Phase« war vorübergegangen und schien jetzt nur noch in Charles’ Vorliebe für gotische Architektur und Breviere auf.
    Nach der Kommunion lehnte Charles sich in der Bank zurück und dachte, während jetzt die Lehrer und nach ihnen die Frauen aus dem Seitenschiff zur Kommunionbank gingen, an die säkularen, wenn nicht gar leicht antiklerikalen Verse, [308] die er nun illuminieren wollte, nachdem er sie bereits kalligraphiert hatte.
    Das Essen war sonntags immer merklich schlechter als an andern Tagen; das Frühstück bestand unabänderlich aus zu hart gekochten, lauwarmen Eiern.
    Wheatley sagte: »Was meint ihr, wie viele Krawatten A. A. hat?«
    »Ich habe letztes Trimester mal angefangen zu zählen«, sagte Tamplin, »und bin bis dreißig gekommen.«
    »Fliegen inklusive?«
    »Ja.«
    »Er ist natürlich auch ganz schön reich.«
    »Warum hat er denn dann kein Auto?«, fragte Jorkins.
    Die Stunde nach dem Frühstück war normalerweise dem Briefeschreiben gewidmet, aber heute war ein Eisenbahnerstreik ausgerufen worden, und es gab keine Post. Überdies fiel, weil das Trimester gerade erst angefangen hatte, die Sonntagsschule aus. Der ganze Vormittag war daher frei, und Charles hatte die Erlaubnis eingeholt, ihn im Zeichensaal verbringen zu dürfen. Er packte seine Sachen zusammen und war bald fröhlich bei der Arbeit.
    Das Gedicht von Ralph Hodgson – »Es [309] jubelten himmlische Chöre vor Freude ohne Ende, wenn der Pfaff den Verstand verlöre, das Volk den seinen fände…« – gehörte zu Franks Lieblingsgedichten. In jenen glücklichen Tagen, als er Haustutor in Head’s House gewesen war, hatte er sonntagabends allen, die zu ihm kommen wollten, und das war meist die untere Hälfte des Hauses, Gedichte vorgelesen. Er las: »Es schwimmt dort einer, der schon geschwommen, bevor die Flüsse waren begonnen«, und »Abu Ben Adhem, möge wachsen sein Stamm«, und »Unter dem weiten Sternenhimmel« und »Was hab ich, mein England, getan für dich, England…?«, und viele andere Gedichte ähnlich behaglicher Art; aber am Ende des Abends sagte immer irgendeiner: »Bitte, Sir, können wir noch mal Die himmlischen Chöre hören?« Jetzt las er nur noch in seinem eigenen Haus, aber die Gedichte, Franks angenehme Stimme, seine Nachtigallen, waren noch wach und glommen warm im Feuerschein der Erinnerung.
    Charles fragte sich nicht, ob das Gedicht wirklich so geeignet war für die Schrift aus dem dreizehnten Jahrhundert, in der er es geschrieben hatte. Er ging beim Schreiben so vor, dass er zuerst die Buchstaben freihändig mit ganz zarten Bleistiftstrichen zeichnete; dann zog er mit Lineal, [310] Reißfeder und Tusche alle senkrechten Striche, bis das ganze Blatt nur noch aus lauter kurzen und langen, senkrechten schwarzen Strichen bestand, die er dann mittels einer Haarfeder miteinander verband und mit rautenförmigen Enden versah. Die Initialen aller Zeilen hatte er zunächst ausgespart und sie dann in der letzten Ferienwoche mit sorgfältig gemalten zinnoberroten »Old English«-Lettern ausgefüllt. Nur das E war jetzt noch übrig, und dafür hatte er sich ein Muster aus Shaws Alphabets ausgesucht, das jetzt offen vor ihm auf dem Tisch lag. Es war eine schnörkelreiche Vignette aus dem fünfzehnten Jahrhundert, zu deren Einbindung er eine gehörige Portion Geschicklichkeit aufwenden musste. Gutgelaunt arbeitete er vor sich hin, völlig versunken, zuerst mit Bleistift, dann bei angehaltenem Atem mit Haarfeder und Tusche; und als diese trocken war – wie oft schon hatte er sich in seiner Ungeduld die ganze Arbeit kaputtgemacht, indem er zu früh damit begann –, radierte er die Bleistiftstriche weg. Schließlich holte er seine Wasserfarben und die roten Zobelhaarpinsel hervor. Im Herzen wusste er, dass er zu schnell arbeitete – ein Mönch hätte für einen einzigen Buchstaben eine Woche gebraucht –, aber er arbeitete konzentriert, und in weniger als zwei Stunden war die Vignette mit all [311] ihren verschnörkelten Randlinien fertig. Doch der Überschwang verließ ihn wieder, als er die Pinsel einpackte. Es war nicht gut geworden; er hatte alles verpfuscht; die Tuschstriche waren nicht gleichmäßig dick, die Bögen zu zaghaft, wo sie hätten kühn sein sollen; stellenweise quoll die Farbe über die Linien, und ansonsten wirkte sie zwischen der tiefschwarzen Zeichentusche zu wässrig und durchsichtig. Es taugte einfach nichts.
    Verzagt klappte Charles seinen Zeichenblock zu und packte seine

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