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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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junger Mann, dessen fahles Habichtsgesicht Geist und Humor verriet. »Das ist der Leiter meiner Abteilung«, sagte sie. »Er ist recht amüsant.«
    [335] »Sieht wie ein Jude aus.«
    »Ist er auch, glaube ich. Er ist überzeugter Konservativer und hasst diese Arbeit«, fügte sie hastig hinzu, denn seit seiner Niederlage bei den Wahlen war John zum glühenden Antisemiten geworden.
    »Es ist absolut nicht nötig, jetzt noch für den Staat zu arbeiten«, sagte er. »Der Krieg ist vorbei.«
    »Unsere Arbeit fängt gerade erst an. Sie werden keinen von uns gehen lassen. Du musst dir mal klarmachen, was für Zustände in diesem Land herrschen.«
    Elizabeth sah sich häufig genötigt, ihm die »Zustände« zu erklären. Strang für Strang, Knoten für Knoten deckte sie ihm in diesem kohlenlosen Winter das ungeheure Netz staatlicher Kontrolle auf, das in seiner Abwesenheit geknüpft worden war. Er war im Geiste des traditionellen Liberalismus erzogen worden, und das System empörte ihn. Mehr noch, es hielt ihn persönlich gefangen, hemmte, fesselte, verstrickte ihn; wohin er auch gehen wollte, was er auch tun wollte oder gern getan hätte, alles wurde durchkreuzt und zunichtegemacht. Und Elizabeth geriet mit ihren Erklärungen in Rechtfertigungsdruck. Diese Bestimmung war nötig, um jenen [336] Missstand zu vermeiden; dieses und jenes Land litt Not, anders als Großbritannien, weil es diese und jene Vorkehrung versäumt hatte; und immer so weiter, ruhig und vernünftig.
    »Ich weiß, es ist zum Verrücktwerden, John, aber du musst einsehen, dass es für alle gleich ist.«
    »Das wollt ihr alle, ihr Bürokraten«, sagte er. »Gleichheit durch Sklaverei. Der Zwei-Klassen-Staat – Proletarier und Funktionäre.«
    Elizabeth steckte mit ihnen unter einer Decke. Sie arbeitete für den Staat und die Juden. Sie kollaborierte mit der neuen, fremden Besatzungsmacht. Und während der Winter sich hinzog und das Gas im Herd schwächlich brannte und der Regen zu den geflickschusterten Fenstern hereinwehte, während endlich der Frühling kam und die Knospen in der obszönen Wildnis rings ums Haus aufsprangen, erlangte Elizabeth in seiner Vorstellung eine neue Bedeutung. Sie wurde ein Symbol. Denn genau wie Soldaten in fernen Feldlagern ihre Frauen mit einer Zärtlichkeit, die sie zu Hause nur selten empfunden haben, zur Verkörperung alles zurückgelassenen Guten machen, Frauen, die vielleicht Schreckschrauben und Flittchen gewesen sind, doch in Wüsten- und Urwaldposten verklärt werden, bis ihre banalen Luftpostbriefe als Sendschreiben der Hoffnung [337] erscheinen, so wuchs sich Elizabeth in John Verneys resignierendem Kopf zu übermenschlicher Bosheit aus, zur Erzpriesterin und Mänade des Jahrhunderts der Masse.
    »Du siehst gar nicht gut aus, John«, sagte seine Tante. »Ihr solltet mal wegfahren, du und Elizabeth. Zu Ostern bekommt sie Urlaub.«
    »Der Staat bewilligt ihr eine Zusatzration ehemännlicher Gesellschaft, wolltest du sagen. Hat sie denn auch alle vorgeschriebenen Formulare ausgefüllt? Oder sind Kommissare ihres Ranges über so was erhaben?«
    Onkel und Tante lachten unsicher. John riss seine kleinen Witze mit einer solchen betonten Mattheit, mit einem solchen Zuklappen der Augenlider, dass sie in diesem Familienkreis manchmal ein Frösteln auslösten. Elizabeth betrachtete ihn ernst und still.
    John ging es ganz und gar nicht gut. Sein Bein schmerzte ihn unausgesetzt, so dass er sich nicht mehr in Schlangen anstellte. Er schlief schlecht, wie auch, zum ersten Mal in ihrem Leben, Elizabeth. Sie teilten sich jetzt ein Zimmer, denn der Winterregen hatte in vielen Teilen des erschütterten Hauses Decken zum Einsturz gebracht, und die oberen Räume wurden für unsicher erachtet. Sie schliefen in der früheren Bibliothek von [338] Elizabeths Vater im Erdgeschoss in zwei Einzelbetten.
    In den ersten Tagen nach seiner Heimkehr war John nach Liebe zumute gewesen. Mittlerweile mied er Elizabeths Nähe. Nacht für Nacht lagen sie zwei Meter auseinander im Dunkeln. Als John einmal zwei Stunden wach gelegen hatte, schaltete er die Lampe an, die auf dem Tisch zwischen ihnen stand. Elizabeth hatte die Augen weit offen und starrte die Decke an.
    »Entschuldige. Habe ich dich geweckt?«
    »Ich habe nicht geschlafen.«
    »Ich dachte, ich lese ein Weilchen. Stört dich das?«
    »Überhaupt nicht.«
    Sie wandte sich ab. John las eine Stunde. Er wusste nicht, ob sie wach war oder schlief, als er das Licht ausschaltete.
    Danach hatte er

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