Waugh, Evelyn
denke schon. Solche Sachen sind für ihn meistens kein Problem.«
Und so begannen er und Elizabeth, sich regelmäßig zu betäuben, und verbrachten lange, traumlose Nächte. John allerdings ließ die beseligende Tablette häufig noch eine Weile neben seinem Glas Wasser liegen; da er das Wachsein ja jetzt nach Belieben beenden konnte, schob er die Wonne der Bewusstlosigkeit gern noch ein wenig hinaus, hörte Elizabeth schnarchen und hasste sie inbrünstig.
Eines Abends, als die Urlaubspläne noch nicht spruchreif waren, gingen John und Elizabeth ins Kino. Der Film war eine Mordgeschichte ohne große Raffinessen, aber mit spektakulären Landschaftsaufnahmen. Eine Braut ermordete ihren [343] frisch Angetrauten, indem sie ihn aus dem Fenster eine Felsenküste hinunterwarf. Er hatte ihr die Sache dadurch leichtgemacht, dass er für die Flitterwochen einen einsamen Leuchtturm gemietet hatte. Er war sehr reich, und sie wollte sein Geld. Sie musste nichts weiter tun, als dem Arzt im Ort und ein paar Nachbarn anzuvertrauen, dass sie sich Sorgen um ihren schlafwandelnden Mann machte; sie tat ihm ein Betäubungsmittel in den Kaffee, schleifte ihn vom Bett zum Balkon – ein ziemlicher Kraftakt –, wo sie bereits ein großes Stück des Geländers herausgebrochen hatte, und wälzte ihn hinüber. Dann ging sie wieder zu Bett, schlug am nächsten Morgen Alarm und weinte über dem zerschmetterten Leichnam, der wenig später, halb von den Wellen überspült, auf den Felsen gefunden wurde. Die Strafe ereilte sie später, doch zunächst war die Sache ein voller Erfolg.
»Ich wünschte, es wäre so leicht«, dachte John, und nach wenigen Stunden war die ganze Geschichte in eines jener lichtlosen Dachstübchen des Geistes entschwebt, wo Filme und Träume und Anekdoten ein Leben lang spinnwebverhangen lagern, sofern sie nicht, wie es manchmal geschieht, von einem Eindringling ans Licht geholt werden.
[344] Dazu kam es wenige Wochen später, als John und Elizabeth in Urlaub fuhren. Elizabeth hatte das Haus gefunden. Es gehörte einem Kollegen im Büro. Es nannte sich Good Hope Fort und stand an der Küste von Cornwall. »Es ist gerade erst wieder zur zivilen Nutzung freigegeben worden«, sagte sie. »Ich nehme an, wir werden es in einem ziemlich schlimmen Zustand vorfinden.«
»Das sind wir ja gewohnt«, sagte John. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, sie könnte ihren Urlaub irgendwie anders verbringen als mit ihm. Sie war ebenso sehr ein Teil von ihm wie sein verstümmeltes und schmerzendes Bein.
Sie trafen an einem stürmischen Aprilnachmittag nach einer Zugfahrt von normaler Unbequemlichkeit ein. Mit dem Taxi ging es dann vom Bahnhof aus acht Meilen auf tiefliegenden kornischen Feldstraßen, vorbei an Granithäuschen und stillgelegten archaischen Zinnhütten. Sie passierten das Dorf, dem das Haus seine Postadresse verdankte, und gelangten auf einer Piste mit hohen Böschungen zu beiden Seiten plötzlich hinaus in offenes Weideland am Rand der Steilküste, über ihnen schnell dahinziehende hohe Wolken und kreisende Seevögel, die Wiese zu ihren Füßen von flatternden Wildblumen übersät, Salz in der Luft, unter ihnen das Donnern des an die Felsen [345] brandenden Atlantiks, ein Ausblick auf tiefblau und weiß wogendes Wasser und dahinter der ruhige Bogen des Horizonts. Hier stand das Haus.
»Dein Vater«, sagte John, »würde jetzt sagen: ›Dein Schloss hat eine angenehme Lage.‹«
»Hat es doch auch, oder?«
Es war ein kleiner Steinbau direkt an der Steilküste, vor einem guten Jahrhundert zu Verteidigungszwecken gebaut, in den Jahren des Friedens als Privathaus umgenutzt, während des Krieges wieder von der Marine als Signalposten übernommen, jetzt abermals friedlicher Nutzung zugeführt. Einige rostige Stacheldrahtrollen, ein Mast, das Betonfundament eines Schuppens zeugten von den früheren Hausherren.
Sie brachten ihre Sachen ins Haus und zahlten das Taxi.
»Eine Frau kommt jeden Morgen aus dem Dorf hoch. Ich habe ihr gesagt, dass wir sie heute Abend nicht mehr brauchen werden. Wie ich sehe, hat sie uns etwas Petroleum für die Lampen dagelassen. Sie hat auch Feuer gemacht, wie nett von ihr, und reichlich Holz gibt es auch. Ach, und schau, was ich von Vater geschenkt bekommen habe. Ich musste versprechen, dir bis zur Ankunft nichts davon zu sagen. Eine Flasche Whisky. Ist das nicht lieb von ihm? Er hat sie sich [346] drei Monate lang von seiner Ration abgespart…« Elizabeth plauderte munter, während sie die Koffer
Weitere Kostenlose Bücher