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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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tiefsinnig oder platt, wie man es sehen mochte. Sie machte durchaus nicht den Eindruck einer Frau, die großen Hass entfachen konnte.
    John Verney wurde Anfang 1945 aus der Armee entlassen – mit einem Verdienstkreuz und einem Bein, das fürderhin fünf Zentimeter kürzer bleiben sollte als das andere. Bei seiner Rückkehr wohnte Elizabeth in Hampstead bei ihren Eltern, seinem Onkel und seiner Tante. Sie hatte ihn brieflich über ihre veränderten Lebensumstände unterrichtet, aber anderweitig in Anspruch genommen, hatte er sich kein klares Bild davon gemacht. Die Wohnung, in der sie früher gelebt hatten, war von einer staatlichen Stelle requiriert worden, ihre Möbel und Bücher eingelagert worden und verlorengegangen, teils in einer Bombenexplosion verbrannt, teils von Feuerwehrleuten geplündert. Die polyglotte Elizabeth hatte in einer geheimen Abteilung des Außenministeriums eine Stelle angetreten. Das Haus ihrer Eltern war einmal eine herrschaftliche georgianische Villa mit [332] Blick über die Hampstead Heath gewesen. John Verney traf dort am frühen Morgen nach einer Nacht im überfüllten Zug aus Liverpool ein. Die schmiedeeisernen Gitter und Tore waren von Schrotthändlern brutal herausgerissen worden, und im einst so gepflegten Vordergarten schossen Unkraut und Gestrüpp zu einem wilden Dschungel empor, den nachts Soldaten mit ihren Liebchen zertrampelten. Der Garten hinterm Haus war ein einziger kleiner Bombenkrater; ringsum aufgeworfene Erde, Skulpturenbruch sowie die Ziegel und Glasscherben zerstörter Treibhäuser; auf den Schutthaufen standen die trockenen Stengel der Weidenröschen brusthoch. Die Fenster auf der Rückseite des Hauses hatten alle keine Scheiben mehr und waren ersatzweise mit Pappe und Brettern abgedichtet, wodurch die Haupträume in ständiges Dunkel gehüllt waren. »Willkommen in des Chaos nächt’gem Reiche«, sagte sein Onkel jovial.
    Es gab keine Diener; die alten hatten das Weite gesucht, die jungen waren zum Militär eingezogen worden. Elizabeth kochte ihm einen Tee, bevor sie zur Arbeit ging.
    Hier wohnte er nun und konnte sich glücklich schätzen, erklärte ihm Elizabeth, ein Dach über dem Kopf zu haben. Möbel waren nicht zu [333] bekommen, möblierte Wohnungen kosteten mehr, als sie sich mit ihrem Einkommen leisten konnten, das nach Abzug der Steuern zu einem Hungerlohn schrumpfte. Sie hätten vielleicht etwas auf dem Lande gefunden, aber da Elizabeth kinderlos war, konnte sie keine Freistellung von ihrer Arbeit erhalten. Zudem hatte er seinen Wahlkreis.
    Auch der hatte sich verändert. Im Park stand eine Fabrik mit einem Stacheldrahtzaun wie ein Kriegsgefangenenlager. In den Straßen ringsherum waren die einst so schmucken Häuser potentieller Liberaler nach Bombenschäden notdürftig ausgebessert, konfisziert und mit proletarischen Einwanderern bevölkert worden. Jeden Tag erhielt er einen Haufen Beschwerdebriefe von Wählern, die in Pensionen in der Provinz ausgesiedelt worden waren. Er hatte gehofft, sein Orden und seine Behinderung würden ihm Sympathien eintragen, doch er musste feststellen, dass das Kriegsgeschehen den neuen Bewohnern gleichgültig war. Stattdessen legten sie ein skeptisches Interesse an Sozialleistungen an den Tag. »Nichts als Rote, die ganze Bande«, sagte der liberale Wahlkreisreferent.
    »Heißt das, meine Chancen stehen schlecht?«
    »Na, wir werden denen einen harten Kampf liefern. Die Torys stellen einen [334] Luftschlachtpiloten auf. Ich fürchte, der streicht die meisten Stimmen der noch verbliebenen mittelständischen Wähler ein.«
    Am Ende schnitt John Verney bei der Wahl am schlechtesten ab, mit Abstand. Ein zänkischer jüdischer Lehrer wurde gewählt. Die Parteizentrale kam für seine Kaution auf, doch die Wahl hatte ihn einiges gekostet. Und als sie vorbei war, gab es für John Verney absolut nichts zu tun.
    Er blieb in Hampstead, half seiner Tante die Betten machen, nachdem Elizabeth ins Büro gegangen war, humpelte zum Gemüsemann und zum Fischhändler und stellte sich voller Hass in die Schlangen; half Elizabeth am Abend spülen. Sie aßen in der Küche, wo seine Tante die spärlichen Rationen köstlich zubereitete. Sein Onkel ging dreimal die Woche Hilfspakete nach Java packen.
    Elizabeth, die Tiefsinnige, sprach nie von ihrer Arbeit, bei der es darum ging, feindliche tyrannische Regierungen in Osteuropa zu installieren. Eines Abends in einem Restaurant kam ein Mann und wechselte ein paar Worte mit ihr, ein hochgewachsener

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