Way Out
Ungeduld nur natürlich. Sobald der eine Kerl bestätigte, Gregory sei in sicherer Entfernung, würde der andere diese Tür benutzen. Und sie würden voraussetzen, dass ein langer Straßenblock und ein Fußgängerüberweg eine sichere Entfernung darstellten. Sowie Gregory südlich der Broome Street war, würde der Anruf kommen.
Eine Minute.
Zwei Minuten.
Drei Minuten.
Nichts passierte.
Reacher blieb zurückgelehnt, blieb entspannt, blieb lässig. Ließ sich sein Interesse nicht anmerken. Oder seine Besorgnis.
Vier Minuten. Noch immer nichts.
Reacher hielt die Augen weiter halb geschlossen, aber er starrte die Tür so konzentriert an, dass sich ihm sämtliche Details einprägten. Kratzer, Lackfehler, Schmutz- und Roststreifen, verblasste Graffiti. Er hätte sich zugetraut, sie noch in fünfzig Jahren mit der Genauigkeit eines Polaroidfotos zu zeichnen.
Sechs Minuten. Acht. Neun.
Nichts passierte.
Auf den Gehsteigen waren jetzt alle möglichen Leute unterwegs, aber niemand kam auch nur in die Nähe der mattroten Tür. Auf der Straße herrschte Verkehr, Lastwagen lieferten Waren aus, Bodegas und Bäckereien hatten geöffnet. Berufstätige mit Zeitungen unter dem Arm und Deckelbechern mit Kaffee in der Hand kamen auf dem Weg zur U-Bahn vorbei.
Niemand ging die drei Stufen zu der roten Tür hinauf.
Zwölf Minuten. Fünfzehn.
Reacher fragte sich: Haben sie mich gesehen? Und er beantwortete seine Frage selbst: Natürlich haben sie das getan. Das steht praktisch fest. Auch der Straßenräuber hat mich gesehen. Das ist verdammt sicher. Und diese Kerle sind cleverer als irgendein Straßenräuber. Typen, denen nichts entgeht. Kerle, die es schaffen, einen SAS-Veteran vor einem Kaufhaus auszuschalten, würden die Straße ziemlich sorgfältig überprüfen. Dann fragte er sich: Aber waren sie meinetwegen besorgt? Und antwortete selbst: Nein, das waren sie nicht. Der Straßenräuber hatte eine professionelle Gelegenheit erspäht. Für diese anderen Typen waren in Hauseingängen Schlafende nichts anderes als Mülltonnen oder Briefkästen, Hydranten oder vorbeifahrende Taxis. Straßenmobiliar. Wer sie sah, sah nur die Großstadt. Und Reacher war allein. Cops oder das FBI wären in einer Gruppe aufgekreuzt. Möglichst zahlreich. Dann hätten sich hier Scharen von unerfahrenen Beamten herumgetrieben, die hektisch und verlegen wirkten und ihre Funksprechgeräte mit braunen Papiertüten tarnten, weil sie wie eben gekaufte Schnapsflaschen aussehen sollten.
Also haben sie mich gesehen, sich aber nicht abschrecken lassen.
Was, zum Teufel, ging also hier vor?
Achtzehn Minuten.
Hydranten, dachte Reacher.
Der BMW stand vor einem Hydranten geparkt. Der morgendliche Berufsverkehr nahm rasch zu. Die Abschleppwagen der New Yorker Polizei ließen ihre Motoren an, rückten aus ihren Garagen aus und begannen ihren Arbeitstag. Alle hatten ihr Soll zu erfüllen. Wie lange konnte ein vernünftiger Mensch fünf Millionen Dollar in einem in New York City illegal geparkten Wagen zurücklassen?
Neunzehn Minuten.
Nach zwanzig Minuten gab Reacher auf. Wälzte sich einfach aus dem Hauseingang und stand auf. Reckte sich einmal und hastete davon: erst nach Norden, dann auf der Prince Street bis zur Sixth Avenue nach Westen und zuletzt über die Houston Street wieder nach Norden bis zu dem Hydranten.
Der Platz davor war leer, der BMW weg.
8
Reacher machte sich wieder auf den Weg nach Süden – ganz bis zur Spring Street zurück. Sechs Blocks, rasches Tempo, sieben Minuten. Er traf Gregory auf dem Gehsteig vor der mattroten Haustür an.
»Na?«, fragte Gregory.
Reacher schüttelte den Kopf.
»Nichts«, sagte er. »Absolut nichts. Keiner hat sich sehen lassen. Alles bloß Rattenscheiße. Ist das nicht ein Ausdruck von euch SAS-Leuten?«
»Wenn wir vornehm sein wollen«, sagte Gregory.
»Der Wagen ist weg.«
»Wie kann das sein?«
»Das Haus hat einen Hintereingang«, antwortete Reacher. »Was Besseres fällt mir im Augenblick nicht ein.«
»Scheiße.«
Reacher nickte. »Rattenscheiße, wie ich schon gesagt habe.«
»Am besten sehen wir selbst nach. Mr. Lane wird die ganze Geschichte hören wollen.«
Seitlich neben dem übernächsten Gebäude im Westen begann eine hinter den Häusern vorbeiführende schmale Gasse. Abgesperrt wurde sie durch ein Tor, das mit einer schweren Kette und einem Vorhängeschloss von der Größe einer Bratpfanne gesichert war. Nicht zu knacken. Aber relativ neu. Geölt und häufig benutzt. Über dem Tor
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