Way Out
eins oder zwei. Nummer vier war die erste Tür, die sie auf dem ersten Treppenabsatz im rückwärtigen Teil des Gebäudes erreichten. Die Nummer drei lag auf demselben Flur, aber zur Straße hinaus. Was bedeutete, dass die Nummer fünf genau darüber liegen würde: im zweiten Stock und mit Blick über die Straße. Pauling sah zu Reacher, und der nickte.
»Das mit dem kahlen Fenster«, sagte er.
Im zweiten Stock kamen sie an der Nummer sechs, die nach hinten hinaus lag, vorbei und gingen nach vorn zur Num mer fünf. Der Kaffeeduft hatte sich verflüchtigt und dem universalen Geruch nach Kohl Platz gemacht.
»Ist er da?«, fragte Reacher.
Der Hausmeister schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn überhaupt nur zweimal gesehen. Jetzt ist er bestimmt nicht da. Ich war im ganzen Haus unterwegs und habe Leitungen repariert.« Er benutzte den Generalschlüssel an seinem Schlüsselring, um die Wohnungstür aufzusperren, stieß sie auf und trat zurück.
Das Apartment war, was ein Immobilienmakler als »Alkovenstudio« bezeichnet hätte. Ein einziger L-förmiger Raum mit einer Nische, die theoretisch Platz für ein Bett bot, wenn es klein war. Eine Kochecke und ein winziges Bad, dessen Tür offen stand. Aber vor allem waren Staub und Bodendielen zu sehen.
Weil das Apartment völlig leer war, bis auf einen einzelnen Esszimmerstuhl mit gepolsterter Sitzfläche und hoher Lehne – nicht alt, aber deutlich abgenutzt. Ein Stuhl von der Art, wie man sie auf Gehsteigen auf der Bowery sah, wo Gebrauchtwarenhändler das Inventar von in Konkurs gegangenen Restaurants verhökerten. Er stand am Fenster und war leicht nach Nordosten gedreht: ungefähr acht Meter über und anderthalb Meter hinter exakt der Stelle, an der Reacher an zwei Abenden nacheinander seinen Espresso getrunken hatte.
Reacher durchquerte das Zimmer und setzte sich auf den Stuhl – beide Füße auf den Boden gestellt, entspannt, aber wachsam. In dieser natürlichen Körperhaltung hatte er den Hydranten jenseits der Sixth Avenue genau im Blick. Mit etwas Überhöhung, die völlig ausreichte, um über einen geparkten Lieferwagen oder sogar einen abgestellten Sattelschlepper hinwegschauen zu können. Die Entfernung betrug ungefähr dreißig Meter. Kein Problem für jeden halbwegs Normalsichtigen. Er stand wieder auf und drehte sich einmal um seine Achse. Sah eine Tür, die sich absperren ließ. Sah drei massive Wände. Sah ein Fenster ohne Vorhänge. Der Soldat weiß, dass ein geeigneter Beobachtungsposten ungehinderte Sicht nach vorn, seitlich und rückwärts genügend Sicherheit bietet. Er weiß, dass er Schutz vor Witterungseinflüssen und den Beobachtern ausreichend Deckung gewährt. Er weiß, dass er voraussichtlich während der gesamten Dauer des Unternehmens ungestört besetzt bleiben kann.
»Kommt einem genau wie Patti Josephs Wohnung vor«, meinte Pauling.
»Sie waren dort?«
»Brewer hat sie mir beschrieben.«
»Acht Millionen Storys«, sagte Reacher.
Dann wandte er sich an den Hausmeister und forderte ihn auf: »Erzählen Sie uns von diesem Mann.«
»Er kann nicht sprechen«, sagte der Hausmeister.
»Was soll das heißen?«
»Er kann nicht sprechen.«
»Was, ist er stumm?«
»Nicht von Geburt an. Wegen eines Traumas.«
»Als hätte ihm etwas die Sprache verschlagen?«
»Nicht emotional«, antwortete der Hausmeister. »Körperlich. Er hat sich mit mir verständigt, indem er auf einen gelben Notizblock geschrieben hat. Vollständige Sätze, sehr geduldig. Er hat geschrieben, dass er beim Militär verwundet worden ist. Als wäre er kriegsversehrt. Aber mir ist aufgefallen, dass er keine sichtbaren Narben hatte. Und ich habe bemerkt, dass er die ganze Zeit den Mund fest geschlossen hielt. Als schämte er sich und wollte nicht, dass ich etwas sehe. Und das hat mich sehr stark an etwas erinnert, das ich vor über zwanzig Jahren einmal gesehen habe.«
»Und das war?«
»Ich bin Russe. Zur Strafe für meine Sünden habe ich bei der Roten Armee in Afghanistan gedient. Einmal haben die Bergstämme uns einen Gefangenen als Warnung zurückgeschickt. Sie hatten ihm die Zunge herausgeschnitten.«
31
Der Hausmeister nahm Reacher und Pauling mit in seine eigene Wohnung, die im Souterrain nach hinten hinaus lag. Er öffnete einen Schrank mit Hängeregistratur und suchte den Mietvertrag für Apartment fünf heraus. Der Vertrag war vor genau einer Woche von einem Mann unterschrieben worden, der sich Leroy Clarkson nannte. Ein wie erwartet offenkundig
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