Waylander der Graue
gab Aric verwirrt zu.
Panagyn schwieg einen Moment. Er warf einen Blick auf den anderen Toten. »Also hat der Graue Mann Gaspir getötet, sein Messer genommen und meinen Neffen in den Hals gestochen, ehe er den Jungen töten konnte. Nein, das hätte zu lange gedauert. Er hat das Messer geworfen.« Panagyn lächelte. »Jetzt verstehe ich, was du mit tödlich meinst. Ich muss allerdings eine solche Kunstfertigkeit bewundern.«
»Du nimmst den Tod deines Verwandten ja recht leicht«, fauchte Aric. »Ich schätze die Art, wie du deinen Kummer verbirgst.«
Panagyn lachte leise, dann zauste er dem Toten das Haar. »Er war ein guter Junge. Allerdings nicht sehr schlau.« Er stand auf, ging zu einem Tisch und schenkte sich einen Becher Wein ein. »Und es ist schwer, in einer Nacht traurig zu sein, in der fast alle meine Feinde umgekommen sind.«
»Nun, meine Feinde sind noch nicht alle tot«, sagte Aric.
»Alle werden es auch nie sein, Vetter. Das ist die Strafe dafür, ein Herrscher zu sein.« Panagyn leerte den Becher. »Ich glaube, ich gehe zu Bett. Es war eine lange und lohnenswerte Nacht. Du solltest auch etwas ruhen. Morgen gibt es viel zu tun.«
»Ich ruhe erst wieder, wenn ich den Grauen Mann gefunden habe«, sagte Aric.
Die Toten im Saal wurden fortgebracht. Aric stieg die Treppe hinunter und ging in die Nacht hinaus. Eine Reihe von Männern mit Fackeln kam vom Strand herauf. Aric wartete. Sein Hauptmann, ein dünner Mann mit scharf geschnittenem Gesicht namens Shad, kam auf ihn zu und verbeugte sich knapp.
»Keine Spur von ihnen am Strand, Herr. Ich habe Boote ausgeschickt, um auf dem Wasser zu suchen, und Reiter, die das gegenüberliegende Ufer durchkämmen sollen. Wir werden jedes einzelne Haus der Stadt durchsuchen.«
»Sie könnten es nicht in dieser Zeit bis zum Weißen Palast geschafft haben«, sagte Aric. »Bist du sicher, dass kein unautorisierter Gast den Saal verlassen hat?«
»Nur einer, Herr. Der Priester Chardyn. Der Wachmann nahm an, dass sein Name versehentlich von der Liste gestrichen wurde.«
»Der Priester kümmert mich nicht.«
»Sonst war da niemand, Herr. Die zweite Gruppe berichtete, dass ein weiterer Mann bei dem Priester war, als sie die westlichen Türen schlossen. Der Beschreibung nach war es der Graue Mann. Er muss um die Rückseite des Palastes herumgegangen und die Mauer zum Zimmer des Jungen emporgeklettert sein.«
»So viel wussten wir bereits«, sagte Aric. »Wir müssen herausfinden, was dann geschah.«
»Sie müssen zum Strand gegangen sein, Herr. Es war Flut, also konnten sie nicht über den Klippenweg gehen. Wir werden sie finden. Bald wird es hell. Wenn sie in der Bucht schwimmen, werden die Boote sie auffischen. Sollen sie lebendig ergriffen werden?«
»Nein, tötet sie einfach. Aber bringt mir die Köpfe.«
»Jawohl, Herr.«
Aric ging zurück in den Palast. Im Saal herrschte zunehmender Gestank, doch er verging, als er die Treppe hinaufstieg. Oben blieb er stehen und blickte nach unten. Er dachte an die Schreie und das Klagen der Sterbenden. Das Vergnügen, das er dabei empfunden hatte, erstaunte ihn. Wenn er jetzt zurückdachte, fand er seine vorherige Freude beunruhigend. Er hatte sich nie als grausam betrachtet. Als Kind hatte er die Jagd sogar gehasst. Es war sehr verwirrend.
Panagyn hatte den Tod Aldanias erwähnt. Aric hielt inne. Er hatte die Frau des Herzogs immer gemocht. Sie war sehr nett zu ihm gewesen. Warum also empfand er gar nichts bei ihrem Tod? Nicht die Spur von Schuldgefühl oder Bedauern. Du bist einfach nur müde, sagte er sich. Mit dir ist alles in Ordnung.
Aric öffnete die Tür zu seiner Wohnung. Drinnen war es dunkel. Die Diener hatten die Laternen nicht angezündet. Er war kurz verärgert, bis ihm einfiel, dass den Dienern befohlen worden war, den Saal für Eldicars Vorstellung zu verlassen. In dem Chaos nach dem Schlachten war es nicht überraschend, dass sie ihre Pflichten vergessen hatten.
Er ging in den Wohnraum, trat hinaus auf den Balkon und blickte wieder über die Gärten und den fernen Strand. Viele Boote waren auf den Sand gezogen worden, und er sah die requirierten Fischerboote zurück zu ihren Anlegeplätzen kommen. Offensichtlich hatten der Graue Mann und der Junge nicht beschlossen, durch die Bucht zu schwimmen. Wo aber steckten sie dann?
In diesem Augenblick hörte er ein leises Geräusch hinter sich. Er drehte sich um und sah eine dunkle Gestalt aus den Schatten treten. Etwas Glitzerndes schoss auf sein Gesicht zu.
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