Waylander der Graue
versuchte, Ustarte auf das Pony zu heben. Es gelang ihm nicht. »Deine … Kleider … müssen aber sehr schwer sein«, sagte er. Der Soldat suchte in der Scheune und kam dann mit einem dreibeinigen Hocker zurück. Ustarte stieg darauf und setzte sich dann vorsichtig auf den Rücken der Stute.
»Halt dich an ihrer Mähne fest, Herrin. Keeva nimmt die Zügel. Und du solltest besser den Hocker mitnehmen, falls du wieder einmal aufsteigen willst.«
Keeva drängte den Braunen vorwärts. Sie beugte sich vor und nahm die Zügel des Ponys. Es bewegte sich nicht. Emrin gab ihm einen Klaps aufs Hinterteil, und dann verließen die beiden Tiere den mondbeschienenen Hof. In der Ferne sah Keeva einen Trupp Reiter, die knapp einen Kilometer entfernt über einen Hügelkamm kamen.
Jetzt, eine Stunde später, hatten die beiden Frauen noch keine große Entfernung zurückgelegt. Das Pony blieb immer wieder stehen und verharrte stur minutenlang auf der Stelle und atmete keuchend. Die dunklen Flanken waren bereits nass von Schweiß.
Ustarte schien unbesorgt. »Noch folgen sie uns nicht«, sagte sie. »Sie durchsuchen den Palast.«
»Wenn wir von einem Krüppel mit einer Krücke verfolgt würden, hätte er uns schon eingeholt«, sagte Keeva.
»Das Pony ist alt und müde. Ich glaube, ich werde ein Stück laufen.« Ustarte glitt vom Rücken des Ponys. Keeva stieg ebenfalls ab, und die beiden Frauen wanderten in den dunklen Wald.
Nachdem sie schweigend etwa eine Stunde lang marschiert waren, blieb Ustarte plötzlich stehen. Keeva hörte sie seufzen. Sie sah Tränen auf dem Gesicht der Priesterin. »Was ist los?«, fragte sie.
»Das Töten hat begonnen.«
»Im Palast?«
»Nein, beim Fest des Herzogs. Der Ipsissimus hat Dämonen in den Saal gerufen. Die Menschen dort werden abgeschlachtet. Es ist grauenhaft!«
»Der Graue Mann?«, fragte Keeva voller Angst.
»Er ist nicht da. Aber er ist in der Nähe.« Ustarte stellte den Hocker auf die Erde und setzte sich. »Er klettert an der Mauer hinter dem Palast hoch und steigt in ein Zimmer ein. Jetzt wartet er.«
»Was ist mit den Reitern, die nach dir suchen?«
»Sie holen ihre Pferde und machen sich für die Verfolgung bereit. Einer der Diener sagte, er hätte uns bei den Ställen gesehen.«
»Dann müssen wir reiten. Auf schnellen Pferden könnten sie in weniger als einer Stunde bei uns sein.«
Mit Hilfe des Hockers bestieg Ustarte das Pony wieder, und sie setzten ihren Weg fort. Die alte Stute schien ein bisschen zu Kräften gekommen zu sein, und eine Zeit lang kamen sie gut voran. Doch als sie den Geröllhang oberhalb der Ruinen von Kuan Hador erreichten, stolperte das Tier.
Ustarte stieg ab und legte ihr Ohr gegen die Flanke des Ponys. »Ihr Herz hat Mühe. Sie kann mich nicht weiter tragen.«
»Wir können zu Fuß nicht entkommen«, wandte Keeva ein. »Es ist noch ein ganzes Stück.«
»Ich weiß«, antwortete Ustarte leise.
Die Priesterin warf den Hocker beiseite und zog ihre grauen Handschuhe aus. Langsam entkleidete sie sich, der Mondschein glänzte auf dem gestreiften Fell ihres Rückens und ihrer Flanken. Sie reichte Kleid, Handschuhe und die weichen Lederschuhe Keeva und sagte: »Du reitest weiter. Ich treffe dich an der Weggabelung des Bergpfades.«
»Ich kann dich hier nicht allein lassen«, widersprach Keeva. »Ich habe es dem Grauen Mann versprochen.«
»Du musst«, sagte Ustarte leise. »Ich werde mich um unsere Verfolger kümmern, und ich werde an der Straße sein, um dich zu treffen. Jetzt reite rasch, denn ich muss mich vorbereiten. Geh!«
Keeva beugte sich vor, um die Zügel des Ponys zu nehmen. »Lass sie hier«, sagte Ustarte. »Sie muss mir noch einen Dienst erweisen.« Keeva wollte etwas einwenden, als Ustarte plötzlich auf den Kastanienbraunen zusprang. Durch ihren Geruch in Panik versetzt, bäumte sich der große Wallach auf und setzte dann mit großen Sprüngen davon.
Ustarte ging zu dem alten Pony. »Es tut mir Leid, meine Liebe«, sagte sie. »Du hättest Besseres verdient.« Ihre Krallen schlitzten dem Tier die Kehle auf. Blut schoss hervor. Die Stute versuchte sich aufzubäumen, doch Ustarte hielt die Zügel fest. Während das Blut aus der verletzten Arterie gepumpt wurde, gaben dem Pony die Vorderbeine nach. Ustarte kauerte sich daneben und legte ihr Gesicht an die Wunde. Rasch trank sie.
Ihr Körper wand sich in Zuckungen, ihre Muskeln schwollen an.
Obwohl sie keine besonders gute Reiterin war, geriet Keeva nicht in Panik, als der
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