Waylander der Graue
Wallach den Abhang hinunterraste. Mit einer Hand an den Zügeln und mit der anderen den Sattelknauf umklammernd, hielt sie sich eisern fest. Der Wallach, der nur vorübergehend durch den Geruch von Ustartes Fell in Panik geraten war, beruhigte sich rasch wieder, und als sie die erste Biegung im Pfad erreichten, trabte er nur noch leicht. Keeva zog sanft an den Zügeln und brachte das Tier zum Stehen. Ein Weilchen brachte sie damit zu, den langen schlanken Hals zu streicheln und beruhigende Worte zu murmeln, dann schwang sie sich im Sattel herum und blickte hangaufwärts.
Sie war jetzt wütend. Der Graue Mann hatte sie gebeten, dafür zu sorgen, dass Ustarte außer Gefahr war, und jetzt ging die Priesterin allein zurück, um den Feind zu stellen. Keeva lenkte den Wallach herum und begann den langen Ritt zurück zu der Stelle, an der sie Ustarte zuletzt gesehen hatte.
Es dauerte eine Weile, denn der Hang war steil. Als sie endlich den Platz erreichte, war von Ustarte nichts mehr zu sehen. Das kleine Pony lag tot neben dem Pfad, die Kehle aufgerissen. Blut sammelte sich in einer Lache auf den Steinen. In einiger Entfernung hörte Keeva ein schreckliches Gebrüll. Der Wallach spannte sich. Keeva tätschelte seinen Hals. Das ferne Fauchen ertönte wieder, begleitet von dem Wiehern verängstigter Pferde.
Keeva saß ganz still, sie fürchtete sich sehr. Ein Teil von ihr wollte weiterreiten und der Priesterin helfen, doch der größere Teil wollte nichts mehr als fliehen, eine möglichst große Entfernung zwischen sich selbst und diese grässlichen Laute bringen. In diesem Augenblick wusste sie, dass es keine richtige Antwort auf das Problem gab. Wenn sie weiterritt – in ihren Augen zu Ustartes Rettung – und dabei gefangen genommen wurde, konnte sie ihr Versprechen gegenüber dem Grauen Mann nicht halten. Wenn sie Ustartes Befehlen gehorchte und weiterritt und die Priesterin ihrem Schicksal überließ, würde sie ebenfalls das Vertrauen des Grauen Mannes enttäuschen. Um Ruhe bemüht, dachte Keeva an die letzten Worte, die Ustarte gesagt hatte: »Ich werde mich um unsere Verfolger kümmern, und ich werde an der Straße sein, um dich zu treffen. Jetzt reite rasch, denn ich muss mich vorbereiten. Geh!«
Sie hatte nicht gesagt, sie würde versuchen, sich um die Männer zu kümmern, sondern sie würde es tun. Keeva blickte auf das tote Pony. Ustarte hatte gesagt, sie müsse sich vorbereiten, und ein Teil dieser Vorbereitung war gewesen, das Tier zu töten. Keeva stieg ab und kniete neben dem toten Tier nieder. Blut war über den ganzen Weg geflossen. Direkt neben dem Pfad sah sie einen blutigen Abdruck auf den Steinen. Er stammte von einer großen, haarigen Pfote. Sie erkannte sie als die einer großen Katze.
Jetzt war alles still. Keine Schreie mehr in der Ferne, keine entsetzten Echos.
Keeva schlich zurück zu ihrem Wallach und stieg in den Sattel. Sie ritt den Abhang hinunter auf die Ebene und umging die mondbeschienenen Ruinen von Kuan Hador und den glitzernden See.
Gut zwei Stunden später, als die Morgendämmerung nicht mehr fern war, blieb sie an der Weggabelung der Bergstraße stehen und stieg ab, um den Wallach in den Wald zu führen. Sie band das Pferd an, ging zurück zum Hang und setzte sich auf einen Stein. Von hier aus konnte sie die schattendunkle Ebene sehen. Ein paar Wolken zogen über den nächtlichen Himmel und warfen rasch dahintreibende Schatten über das Land. Keeva sah eine Bewegung auf der Ebene und versuchte, genauer zu erkennen, was es war. Irgendetwas bewegte sich schnell. Ein Wolf vielleicht.
Sie hatte es nur für einen Moment gesehen, aber sie wusste, dass es kein Wolf war. Wolken verdeckten den Mond, und Keeva blieb still sitzen und wartete, dass sie weiterzogen. Sie hörte Geräusche auf dem Pfad unterhalb von ihr, und für den Bruchteil einer Sekunde sah sie ein großes gestreiftes Tier den Pfad verlassen und in den Wald eilen. Der Wallach wieherte vor Angst, als der Wind ihm den Geruch des Wesens in die Nüstern blies. Keeva rannte zurück zu dem Pferd und nahm die kleine Armbrust vom Sattelknauf. Rasch lud sie sie.
Ein tiefes Grollen kam aus dem Gebüsch, ein knurrender, tief aus der Kehle kommender Laut, der massive Lungen verriet. Keeva zielte mit der Armbrust auf dieses Geräusch. Dann herrschte Stille.
Das erste Licht des Tages sickerte durch die Bäume. Das Unterholz teilte sich.
Und Ustarte trat heraus. Auf ihrem Gesicht und ihren Armen war Blut. Keeva richtete die Armbrust
Weitere Kostenlose Bücher