Weasels: Donnereiche (Weasels 1) (German Edition)
mit wem wir es zu tun bekommen könnten, wenn wir unbefugt in fremdes Gebiet eindringen.«
Waldschratt berichtete: »Ich habe noch nie von irgendwelchem Leben hier in der Gegend gehört. Wir befinden uns am Rand der Gelben Berge. Der Schwefelgehalt der Luft treibt einem die Tränen in die Augen und macht das Atmen schwer. Warum sollte sich irgendjemand freiwillig hier niederlassen? Das ergibt keinen Sinn.«
»Du würdest staunen, wenn du wüsstest, wer sich freiwillig wo niederlässt«, erwiderte Grind. »Es gibt weit absonderlichere Dinge auf dieser Welt, als du sie dir vorzustellen vermagst, Zauberer.«
Die Jagdbeute wurde gehäutet und in den Kessel geworfen. Kunicht war mit Kochen an der Reihe, und er brummelte die ganze Zeit vor sich hin, während er seinen Pflichten nachkam. Bald köchelte ein köstlich duftender, dicker Eintopf vor sich hin. Einer nach dem anderen erhielten die Gesetzlosen Holzbretter, auf die wilde Zwiebeln und Kirschen sowie üppige Fleischbrocken gehäuft wurden.
»Für mich bitte nur Gemüse«, murmelte Birnoria, als sie an der Reihe war. »Ein paar Zwiebeln – und einige wilde Himbeeren.«
»Wie bitte?«, rief Sylber aus. »Du bist doch sonst die Erste beim Fleischfassen – was ist los mit dir? Bist du krank?«
»Nein, keineswegs«, antworte sie in einem leicht gekränkten Ton.
Birnoria entfernte sich von den anderen, um ihre Portion Obst und Gemüse zu verspeisen. Später, nachdem die Wachen am Eingang zu dem von Dornen bewehrten Anwesen postiert worden waren, kam Sylber zu ihr. »Weißt du«, sagte er, »du machst irgendwie einen leidenden Eindruck.«
»Mir geht es gut«, erwiderte sie und wandte sich von ihm ab. Dann drehte sie sich wieder um und sagte: »Tut mir Leid. Ich sollte es dir erklären. Das Problem ist nur, dass ich nichts erklären kann. Es ist – ich habe nur so ein Gefühl. Ich habe es, seit… seit ich ein Kaninchen war. Die Vorstellung, Fleisch zu essen, bereitet mir Übelkeit. Es ist, als ob ich mich selbst essen würde. Es hat etwas Unheimliches und Schreckliches, andere Geschöpfe, wie ich eines bin, zu töten und zu kochen.«
»Aber das ist vollkommen natürlich – wir sind nun mal Fleischfresser. Es ist von der Natur so vorgesehen, dass wir andere Tiere essen«, meinte Sylber.
»Ich weiß. Es hört sich blöd an, nicht wahr? Aber ich schaffe es nicht, fürchte ich. Du weißt nicht, was das für ein Gefühl ist, ein Kaninchen gewesen zu sein. Ein Teil meiner Seele ist in einer Kaninchenhaut eingeschlossen, irgendwo dort unten in den Bauen. Du kannst das nicht verstehen.«
Das stimmte, Sylber konnte es nicht verstehen. Er betrachtete die anderen, die allesamt wohlauf zu sein schienen. Keiner von ihnen hatte Albträume, weil er Fleisch gegessen hatte. Dabei hatten sie alle das Gleiche durchgemacht wie Birnoria.
Wenn er allerdings gründlicher darüber nachdachte, dann musste er eingestehen, dass sie immer schon außerordentlich empfindsam gewesen war. Birnoria hatte etwas Zartfühlendes und Feinsinniges an sich, das den anderen abging. Um genau zu sein: was auch ihm selbst abging. Bei ihr gingen die Dinge, die sich ringsum abspielten, tiefer, sie spürte den Puls des Lebens eindringlicher. Sie war es, die nach einem langen Winter den Frühling in der Luft roch, früher als andere Wiesel. Es war Birnoria, die genau wusste, wo im Herbst das Flohkraut zu finden war. Sie hatte diesen besonderen Nerv für den Geist der Erde.
Er zuckte mit den Schultern und sagte: »Wenn du kein Fleisch essen möchtest, dann bin ich damit einverstanden, Mädchen. Sollte dich irgendjemand deswegen dumm anreden, dann verweise ihn einfach an Sylber. So, und jetzt sollten wir uns besser etwas Schlaf gönnen. Du und ich, wir haben später in der Nacht gemeinsam Wache.«
Birnoria sah dem Anführer tief in die Augen. »Danke, Sylber.«
»Was? Ach« – ihm war unbehaglich zumute –, »keine Ursache. Es gehört zu meinen Aufgaben, dafür zu sorgen, dass sich die Mitglieder meiner Gruppe wohl fühlen.«
»Ich weiß«, sagte sie mit leuchtenden Augen. »Deshalb bist du ein so guter Anführer.«
Sylber bettete sich auf sein Lager aus weichem Heu, wo er eine Zeit lang wach dalag und über das nachdachte, was Birnoria gesagt hatte. Die Erfahrung, ein Kaninchen gewesen zu sein, hatte bei ihr offenbar tiefere Auswirkungen gehabt als bei den anderen, doch sie hatte ihre Zeit als Menschenwesen nicht erwähnt. Tatsächlich hatte keines der Wiesel darüber gesprochen. Er fragte sich, ob
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