Weber David - Schwerter des Zorns - 3
alle ist.
Ich will nicht behaupten, dass alle unsere Frauen so leben können,
wie sie es wollen, aber sie verfügen doch über erheblich mehr Freiheiten als die Frauen von Euch Sothôii. Und auch mehr als die der
meisten anderen Menschenvölker, die ich gesehen habe.«
»Wusste ich doch, dass es etwas gibt, was mir an den Hradani besonders gefällt.« Leeana lächelte schüchtern. »Ich wünschte nur, das
würde für uns auch gelten.«
»Nach dem, was ich gesehen habe, Mädchen«, erklärte Bahzell liebevoll, »denken Eure Eltern mehr wie Hradani als die meisten anderen Menschen. Sie führen ihr Leben mit Freude und Schmerz und
haben nie vergessen, warum sie sich lieben. Ihr könnt ihnen vertrauen, Leeana Bogenmeister, und Ihr könnt Euch darauf verlassen, dass
sie das auch niemals vergessen werden, wenn es um Euch geht.«
Sie musterte ihn mit einem merkwürdigen Blick – und während
Bahzell ihr in die Augen sah, fragte er sich, was sie wohl gerade
dachte. Dann schüttelte sie sich und lächelte ihn an.
»Danke, Prinz Bahzell«, sagte sie schlicht. »Ich danke Euch, weil
Ihr mir zugehört und mich nicht einfach ausgelacht habt. Und dafür,
dass Ihr mich versteht, statt mir einfach übers Haar zu streichen und
mich spielen zu schicken. Ich werde in Erinnerung behalten, was Ihr
gesagt habt, denn Ihr habt Recht. Vater und Mutter werden alles
tun, was jemand in ihrer Lage überhaupt tun kann, um mich vor
dieser Art von Ehe zu beschützen, vor der ich Angst habe. Das bedeutet zwar nicht, dass ich mir den Ehemann aussuchen kann, den
ich liebe, aber es ist sicher weit mehr, als die meisten Mädchen in
meiner Lage von sich sagen können.«
Sie sah ihm noch ein paar Sekunden lang in die Augen. Bahzell
hätte ihr gern noch etwas Beruhigendes gesagt. Aber das konnte er
nicht, jedenfalls nicht, ohne zu irgendwelchen tröstenden Lügen zu
greifen. Und diese junge Frau hatte Besseres verdient. Also erwiderte er einfach nur ihren Blick, bis sie kurz vor ihm knickste. Eine Sekunde später stand er wieder allein auf den Zinnen von Schloss Hügelwacht.
12
A LFAR A XTSCHNEIDE hockte zusammengesunken im Sattel, während
sein Wallach müde nach Hause trottete. Wenigstens regnete es im
Augenblick nicht mehr, wofür er den Göttern dankte. Doch die Weiden und Koppeln waren noch schlammig und er und sein Pferd wirken vollkommen erschöpft, nachdem sie so lange darin herumgewatet waren.
Was nicht hieß, dass Alfar seine Pflichten lästig gewesen wären. Er
war einer der ranghöchsten Pferdeausbilder von Lordhüter Edinghas, und es oblag seiner Verantwortung sicherzustellen, dass die
Einrichtungen des Hauptgestüts vorbereitet waren, wenn die Pferde
von ihren Winterweiden zurückkehrten. Er war höchst zufrieden
mit dem, was er heute überprüft hatte. Was natürlich auch daran
lag, dass die Warmen Quellen eines der Gestüte war, das seit jeher
den Winter über eine Herde Windrenner beherbergte. In den Scheunen, auf den Futterplätzen und Koppeln waren die Hufschmiede,
Heiler und Pferdeknechte den ganzen Winter über beschäftigt gewesen, statt einfach untätig herumzusitzen oder mit den Hengsten und
Stuten des Gestüts wegzuziehen. Im Unterschied zu vielen anderen
Gestüten auf der Ebene des Windes stellten die Warmen Quellen ihren Betrieb niemals ein. Das bedeutete: all die kleinen Zahnräder des
komplizierten Räderwerks liefen das ganze Jahr über wie geschmiert.
Doch der ungewöhnlich frühe Aufbruch der Windrenner von ihrem Quartier auf den Warmen Quellen aus hatte eine gewisse Flaute
im Ablauf des Hauptsitzes ausgelöst. Alfar hatte diese Gelegenheit
für eine letzte, peinlichst genaue Untersuchung genutzt. Er erwartete, dass Lord Edinghas seinen Bericht billigte und freute sich auf ein
langes, heißes Bad, bevor er schließlich seine wohlverdiente Ruhe
einlegte. Vielleicht brauchte er deshalb auch ein oder zwei Sekunden, um aus seiner Träumerei aufzuwachen, als sein Pferd plötzlich
schnaubte und scheute.
Alfar schüttelte den Kopf und reagierte unwillkürlich auf den
plötzlichen Sprung seines Wallachs. Er packte die Zügel fester und
presste seine Schenkel gegen die Flanken des Tieres. Dann wendete
er das Pferd in die Richtung desjenigen, wovor es gescheut hatte.
Blankes Entsetzen schoss wie Eiswasser durch seine Adern und
löschte alle Zufriedenheit über das, was er erreicht hatte, aus – als
hätte es nie existiert.
Er starrte auf etwas, das noch kein Sothôii jemals gesehen hatte. Es
glich einem Albtraum, den gewiss
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