Weck mich am Arsch!
Was auch immer das jetzt heiÃen mag, haha.
Günter Woog
Günter Woog ist Mitbegründer und Vorsitzender von Delta t, dem 1993 ins Leben gerufenen Verein für zeitversetzt und lang schlafende Menschen.
Herr Woog, Sie sind ein Veteran im Kampf für die Rechte von Langschläfer. Was genau brachte Sie damals auf die Idee, Delta t zu gründen?
Nach überstandener Schulbeginnfolter und weitgehender Flexibilität im Studium war das Arbeitsleben, personalisiert durch einen lieben, aber penetrant früh aufstehenden Kunden, drauf und dran, mir alle morgendlichen Freiheiten wieder zu nehmen. Dies geschah untermalt von den altbekannten Sprichwörtern über Hühner und Vögel und forderte eine Rebellion geradezu heraus.
Wie waren die ersten Reaktionen? Wurden Sie belächelt oder hat man Ihr Anliegen von Anfang an ernst genommen?
Die 80 Prozent Frühaufsteher haben unser Anliegen überwiegend ernst genommen, aber trotzdem darüber gelächelt bis gelacht und ihm schon gar keine Priorität eingeräumt.
Unter den anderen 20 Prozent waren viele â auch für mich â überraschend ernst und wenig lächelwillig angesichts ihrer alltäglichen Zeitzumutungen.
In Ihrer Satzung kann man unter dem Punkt »Vereinsziel« lesen: »Der Delta t ⢠Verein für Zweitnormalität e . V. setzt sich zum Ziel, zeitversetzt und lang schlafenden Menschen zu Anerkennung, Toleranz und vor allem zu ihrer Natur entsprechendem Leben zu verhelfen.« Welche MaÃnahmen ergreifen Sie, um dieses Ziel zu verwirklichen?
Da unsere Einschränkungen ausnahmslos den von der nicht betroffenen Mehrheit aufgestellten Regelungen entspringen, sind wir hauptsächlich mit informativer, faktengestützter Ãberzeugungsarbeit beschäftigt. Unser zweites »Kampfgebiet« widmet sich den negativen Vorurteilen. Unser drittes dem Aufbau eines wahrheitsgemäÃen, positiven Bildes.
Wie viel hat sich seit der Gründung Ihres Vereins vor knapp zwei Jahrzehnten zugunsten der Langschläfer bewegt?
Auf der Faktenebene, vor allem in der wissenschaftlichen Beurteilung des Phänomens unterschiedlicher Biorhythmen, hat sich enorm viel verändert: zum einen darin, dass das Vorhandensein unterschiedlicher Zeittypen mittlerweile ebenso selbstverständlich genommen wird wie das unterschiedlicher SchuhgröÃen. Zum anderen, dass ein dem Chronotyp entsprechendes Leben nicht nur aus gesundheitlicher Sicht angeraten wird.
Der Lifestyle des Ausschlafenden, der in der Boheme von jeher chic war, wird in zunehmender Weise als tägliches Privileg aufgefasst. Es wurde bekannt, dass spätes Aufstehen und Erfolg, gerade der sympathisch erzielte, keine Gegensatzpaare, sondern oft verwandt sind.
Auf der Handlungsebene hat sich dennoch erschreckend wenig bewegt. Eine Gesellschaft, die immer wieder betont, dass ihr wichtigstes Gut die Bildung ist, führt sich selbst ad absurdum, wenn sie nicht in der Lage ist, die Früchte der Bildung zu implantieren. Ein Schulleiter, der sich weigert, die Anfangszeiten so spät zu legen, wie es die erfolgreichsten seiner Absolventen fordern, die mittlerweile als Professoren tätig sind, stellt sich selbst infrage.
Glauben Sie, dass wir Langschläfer eines Tages die Vorherrschaft der frühen Vögel brechen können? Oder anders ausgedrückt: Gibt es eine Zukunft ohne Wecker, in der jeder Mensch so lange und so viel schlafen kann, wie er möchte?
Nicht, dass ich Frühaufsteher für böse halte, aber das ist wie die Frage, ob das »Gute« oder das »Böse« siegen wird. In jeder Hinsicht erfolgreicher sind zurzeit die relativ freieren Gesellschaften. Dort, wo Kunst, Kreativität, wissenschaftlicher Fortschritt, Innovation, Konsens, Freiheit, Toleranz ⦠wichtig sind, wird die Diktatur der Wecker abnehmen. In den sogenannten Werkbänken der Welt, wie China, sehe ich tief schwarz.
Hier in D, de facto, lebe ich schon seit 30 Jahren zu 99 Prozent weckerfrei.
Langschläfer aller Länder, vereinigt euch!
Zu lange schon dominieren die Frühaufsteher den Biorhythmus unserer Gesellschaft und damit unser aller Leben. Warum lassen wir uns das gefallen? Artikel 1 unseres Grundgesetzes besagt: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Und auch in der FuÃnote findet man keinen Absatz, der lautet: »Für Langschläfer ist Artikel 1 selbstverständlich nicht gültig.«
Es ist allerhöchste Zeit,
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