Weg der Träume
lächelte und beugte sich vor, um ihm näher zu sein.
»Kannst du es mir zeigen?«, fragte sie. Nach einer Weile nickte Jonah widerstrebend. Während die anderen Schüler sich beschäftigten, saß Sarah bei Jonah. Er gab sich große Mühe, doch schnell erkannte sie, dass es keinen Sinn hatte. Jonah konnte nicht schreiben. Später am Tag fand sie heraus, dass er auch kaum lesen konnte. In Mathematik war er nicht viel besser. Wenn sie, ohne ihn zu kennen und nur aufgrund dessen, was sie vor sich sah, sein Alter hätte schätzen müssen, hätte sie ihn als Kindergartenkind eingestuft.
Ihr erster Gedanke war, er habe vielleicht eine Lernstörung, so etwas wie Legasthenie, aber nachdem sie ihn eine Woche lang beobachtet hatte, schloss sie das aus. Er brachte Buchstaben und Wörter nicht durcheinander, er verstand alles, was sie ihm sagte. Hatte sie ihm einmal etwas gezeigt, machte er es fortan richtig. Sein Problem basierte ihrer Meinung nach darauf, dass er noch nie seine Hausaufgaben hatte machen müssen, weil seine Lehrerinnen es nicht von ihm verlangt hatten.
Als Sarah andere Lehrer danach fragte, erfuhr sie die Geschichte von Jonahs Mutter, und obwohl er ihr Leid tat, wusste sie, dass es keinem nutzte - und Jonah schon gar nicht -, wenn man ihn in Ruhe ließ, wie seine Lehrer es bisher getan hatten. Andererseits konnte sie Jonah im Unterricht nicht das Maß an Aufmerksamkeit schenken, das er eigentlich brauchte. So entschloss sie sich am Ende, Jonahs Vater zu einem Gespräch zu bitten, in der Hoffnung, dass sie gemeinsam eine Lösung finden würden.
Von Miles Ryan hatte sie bereits hin und wieder etwas gehört. Nicht viel, aber sie wusste, dass die meisten Leute ihn mochten und schätzen und vor allem, dass ihm sein Sohn wichtig war. Das war gut - denn schon in der kurzen Zeit, in der sie unterrichtete, hatte sie Eltern kennen gelernt, denen ihre Kinder offenbar gleichgültig waren, mehr eine Last als ein Geschenk, und dann wieder andere Eltern, die offenbar meinten, ihr Kind sei unfehlbar. Beide waren eine Plage. Miles Ryan, sagten die Leute, sei anders.
An der nächsten Straßenecke wurde Sarah langsamer und wartete auf eine Lücke im Verkehr. Sie überquerte die Straße, winkte dem Mann in der Apotheke zu, griff nach ihrer Post und lief dann die Stufen zu ihrer Wohnung hinauf. Sie schloss die Tür auf und warf einen kurzen Blick auf die Briefe, bevor sie sie auf das Tischchen neben der Tür legte.
In der Küche goss sie sich ein Glas Eiswasser ein und trug es ins Schlafzimmer. Dann zog sie ihre verschwitzte Kleidung aus und warf sie in den Wäschekorb. Sie freute sich schon auf eine kühle Dusche.
Das Licht am Anrufbeantworter auf ihrem Nachttisch blinkte. Sarah drückte die Abfragetaste, und die Stimme ihrer Mutter ließ sie wissen, sie könne gern später noch vorbeikommen, wenn sie nichts anderes vorhabe. Wie üblich klang die Stimme etwas angespannt.
Neben dem Anrufbeantworter stand ein Bild von Sarahs Familie: Maureen und Larry in der Mitte, Sarah und Brian seitlich. Der Apparat klickte, und dann ertönte eine zweite Nachricht, ebenfalls von ihrer Mutter. »Ach, ich dachte, du wärst jetzt zu Hause. Ich hoffe, es ist alles in Ordnung…«
Sollte sie hingehen oder nicht? War sie in Stimmung?
Warum nicht?, dachte Sarah schließlich. Ich habe doch sowieso nichts anderes vor .
Miles Ryan fuhr in Richtung Süden auf der Madame Moore's Lane, einer engen, gewundenen Straße, die dem Trent River und dem Brices Creek von New Bern bis nach Pollocksville folgte. Benannt nach der Frau, die einst das berühmteste Bordell in North Carolina führte, schlängelte sich die Straße am Landsitz und an der Grabstätte von Richard Dobbs Spaight vorbei, einem Südstaatenhelden, der die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet hatte. Während des Bürgerkriegs hatten Unionssoldaten den Leichnam exhumiert und seinen Schädel als Warnung für widerspenstige Bürger auf ein Eisengitter gesteckt. Als Kind hatte diese Geschichte Miles so verschreckt, dass er immer einen weiten Bogen um die Stelle gemach hatte.
Trotz ihrer Schönheit und relativen Abgeschiedenheit war die Straße gefährlich - vor allem für Kinder. Tag und Nacht rumpelten voll gepackte Holztransporter in beide Richtungen, und die Fahrer unterschätzten oft die Kurven. Da Miles in einer Gemeinde ansässig war, die an die Straße angrenzte, sprach er sich seit längerem dafür aus, das Tempolimit herabzusetzen.
Niemand, außer Missy, hatte auf ihn
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