Weg des Zorns 01 - Die Kriegerin
seiner Stelle vermocht hätte, doch man durfte ›gelassen‹ nicht mit ›entspannt‹ verwechseln. Hilton bewegte sich voller Vorsicht, stets sicherte er nach allen Seiten. Ebenso wie alle anderen Marines, die sich für die Aufklärerverbände qualifiziert hatten, gehörte er zu den etwas mehr als sechzig Prozent der Menschheit, die einen unmittelbaren Neuralzugang tolerierten und auch zu nutzen vermochten. Und sein implantierter Rezeptor war, ganz wie bei Alicia, im Augenblick mit dem Helmcomputer seines Kampfanzugs verbunden. Damit konnte er ohne Umwege auf die Helmsensoren zugreifen, das HUD steuern, das stets vor seinem geistigen Auge zentriert blieb, und die Daten des Computers in seinem M-97-Gewehr abrufen. In seinem Fall handelte es sich nicht um ein vollständiges SynthoLink, es bildete also keine vollgültige Verbindung zu einem Computer. Daher musste er zwar die eigens dafür entwickelten und in die Software integrierten Schnittstellen benutzen, doch immerhin konnte er stets auf seine gesamte Ausrüstung zugreifen. Damit war er in der Lage, die allgemeine Situation deutlich besser zu überschauen, als das einem Gegner ohne jegliche Erweiterung möglich gewesen wäre, und nach derart vielen Jahren der Erfahrung war ihm jedes einzelne seiner neuen, künstlichen ›Sinnesorgane‹ so vertraut, dass er sich darauf ebenso verließ und verlassen konnte wie auf sein Herz oder seine Lungenflügel ... und dennoch setzte er auch seine Sichtfeld-Erweiterungen und Gehör-Booster ein, um seine Sinne noch weiter zu schärfen.
Alicia hingegen war SynthoLink-kompatibel. Diese Eigenschaft teilte sie mit nur etwa zwanzig Prozent der Menschheit, doch dieser Anteil verschaffte dem Imperium bereits einen gewaltigen Vorteil gegenüber den gegnerischen Rishatha, von denen kein einziger mit derartigen Neuro-Rezeptoren umgehen konnte. Doch nicht einmal Alicia konnte ein Cyber-SyntthoLink nutzen, und darüber war sie immens froh. Vollständig entwickelte KIs waren bestenfalls ... instabil, und wenn es bei einer derartigen KI zu einem Systemausfall kam, dann riss das üblicherweise den jeweiligen armen Teufel, der über sein Cyber-SynthoLink damit verbunden war, gleich mit in den Tod. Das erschien Alicia ein unangemessen hoher Preis zu sein, selbst wenn diese Verschmelzung von Mensch und Computer ihr im wahrsten Sinne des Wortes übermenschliche Fähigkeiten verliehen hätte.
Doch da sie wenigstens ein SynthoLink nutzen konnte, vermochte sie die Lage ›von Natur aus‹ noch umfassender zu überblicken als Hilton. In diesem Moment waren sämtliche ihrer Erweiterungen aktiv und suchten nach Energiequellen, Waffensignaturen, Kom-Übertragungen oder Bewegungen an den Flanken oder gar hinter sich, doch drei Viertel ihrer Aufmerksamkeit galten nach wie vor Hilton: Sie beobachtete seine Reaktionen, wartete auf Handzeichen.
»Behalt die ganze Zeit über mich im Auge, Alley«, hatte er ihr leise geraten, als sie aufgebrochen waren. »Du hältst mir den Rücken frei - um alles, was vor uns liegt, kümmere ich mich. Klar?«
»Klar«, hatte sie geantwortet und sich innerlich gefreut, dass ihre Stimme kein bisschen gezittert hatte. Nicht, dass es sonderlich einfach gewesen wäre, ihn die ganze Zeit über ›im Auge zu behalten‹. Ebenso wie sie trug auch Hilton aktive Chamäleon-Tarnung. Diese war zwar nicht so leistungsstark wie die Tarnvorrichtung, die in Dynamik-Panzerungen verbaut wurde, doch andererseits besaß eine derartige Dynamik-Panzerung eine ungleich stärkere Emissionssignatur, und das machte jegliche auf rein optischen Prinzipien basierende Tarnung gegen Sensoren in Militärausführung nutzlos.
Hiltons Uniform und die Oberfläche seiner Kopf- und Körperpanzerung - und auch sein Kampf- und Tragegeschirr - waren mit Aktivgewebe überzogen, das seinen Träger praktisch unsichtbar machte: Die Sensoren seines Helms tasteten die Umgebung in einem Winkel von 360 Grad ununterbrochen ab und übertrugen die Daten an seine Uniform; das Aktivgewebe projizierte genau dieses Bildmaterial derart auf die Oberfläche der Kleidungsstücke, dass der Träger praktisch mit seiner Umgebung verschmolz. Das Ergebnis war fast, als würde man durch eine humanoide Gestalt aus Wasser hindurchblicken: Alles, was sich hinter ihr befand, war klar und deutlich zu erkennen und nur geringfügig verzerrt.
Der Effekt war natürlich nicht perfekt, und bei guten Sichtverhältnissen verriet den Träger dieser Tarnung deutlich jede Bewegung. Doch selbst unter
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