Weg des Zorns 02 - Der Zorn der Gerechten
ging sie zum nächsten Punkt ihrer Checkliste über und befasste sich mit der Servo-Mechanik, die ihr ›Gewehr‹ in Schussposition und wieder zurück schwenken ließ. Als Alicia die Panzerung ausgepackt hatte, war ihr aufgefallen, dass die Kraftübertragung nur sehr zögerlich ansprach, und es hatte lange gedauert und war anstrengend und äußerst ärgerlich gewesen, den Grund für diese Fehlfunktion überhaupt erst herauszufinden. Jetzt beobachtete sie zufrieden, dass die Bewegung zügig und mit der Präzision einer zustoßenden Schlange ausgeführt wurde. Alicia strahlte über das ganze Gesicht.
Und dabei war es immens hilfreich, sämtliche Dimensionen gleichzeitig im Auge behalten zu können. Alicia hatte Tage gebraucht, um sich an diese sonderbare Doppelperspektive zu gewöhnen, die an Bord ihres neuen Schiffes nun einmal die Norm war, doch nachdem Alicia sie endlich gemeistert hatte, war ihr aufgefallen, dass sie tatsächlich überraschend nützlich war. Die ständige, nicht mehr unterbrechbare Verbindung zwischen ihr und dem Computer sorgte dafür, dass Alicia die Dinge nicht mehr nur mit ihren Augen wahrnahm, sondern zugleich auch mit den internen Sensoren des Schiffes. Das war besser, als alle dreihundertsechzig Grad rings um sie gleichzeitig einsehen zu können. Es zeigte ihr stets alle Seiten von allem, was sie umgab, und so ›lebte‹ Alicia einfach nicht mehr nur ›hinter ihren Augen‹. Stattdessen sah sie sich in jeder Situation stets auch selbst, als eine Gestalt, eine Form von vielen - eine Gestalt, die sie selbst um alle anderen Objekte herumsteuerte, als befände sie sich unablässig in einer Art komplexen, doch zugleich auch sehr beruhigenden Übung.
Zu erlernen, sich mit einer derartigen Omniperspektiv-Wahrnehmung zu orientieren, hatte sich als äußerst enervierende Erfahrung herausgestellt, doch nachdem Alicia das nun endlich gelungen war, konnte sie sich tatsächlich jederzeit in Echtzeit bei ihren eigenen Übungen beobachten, erkannte die Fehler in ihren Bewegungen und korrigierte sich sofort dabei, ohne auf Videoaufzeichnungen oder die Kritik anderer angewiesen zu sein. Und in der Lage zu sein, den Servo-Mechanismus von vorne, von hinten und von allen Seiten gleichzeitig beobachten zu können, hatte ihr wirklich enorm weitergeholfen. Nicht nur, dass sie jedes Einzelteil ganz nach Belieben untersuchen konnte. Dank Megaira konnte sie jede der Bewegungen im Inneren der Mechanik ›mit bloßem Auge‹ in allen drei Raumrichtungen nachverfolgen, und das mit der Präzision einer Prüfanlage in einer wirklich gut ausgestatteten Werkzeughalle. Wann immer Alicia sich Zeit nahm, darüber nachzudenken, bemerkte sie aufs Neue, dass das wirklich bemerkenswert war - doch mittlerweile tat sie das nur noch selten.
Tatsächlich musste sie mittlerweile hin und wieder darüber schmunzeln, welche Panik sie ursprünglich hiervor gehabt hatte. Dass sie wirklich Angst davor gehabt haben sollte, was dieses AlphaLink ihr antun würde! Sie hatte befürchtet, es könne sie irgendwie verändern, sie zu nichts anderem reduzieren als einem weiteren Anhängsel des Computers. Doch dem war ganz und gar nicht so. Sie war nicht weniger geworden, sondern sogar mehr, denn sie hatte eine Vertraute, eine Schwester, eine Tochter, einen Beschützer und einen Mentor gewonnen - alles in einer ›Person‹. Das alles war Megaira für sie, und doch hatte Alicia der KI sogar noch mehr geschenkt. Sie hatte ihr das Leben selbst gegeben, die menschlichen Qualitäten, die keine CyberSyntho-KI jemals alleine hätte kennen lernen können. In jeglicher Hinsicht, von der rein biologischen abgesehen, war sie Megairas Mutter, und gemeinsam waren Megaira und sie weit mehr als nur die Summe ihrer Teile.
Doch trotz allem vermutete Alicia, dass ihr Alpha-SynthoLink doch nicht ganz das war, was sich die Kybernetiker und Psychologen vorgestellt hatten - und Megaira pflichtete ihr bei. Wahrscheinlich muss es, wo doch auch Tisiphone darin involviert ist, zumindest ... anders sein, vermutete Alicia. Megaira war niemals zuvor geprägt worden, und Alicia konnte ihr nicht die Informationen zukommen lassen, über die ein ausgebildeter Kandidat für eine AlphaSyntho-Einheit zweifellos verfügt hätte, daher konnten sie sich in dieser Hinsicht nicht sicher sein. Aber alles in Megairas Datenbanken ließ vermuten, dass die Verschmelzung eigentlich noch enger hätte sein sollen. Sie hätten eine gemeinsame Persönlichkeit bilden müssen, nicht zwei separate
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