Weg des Zorns 02 - Der Zorn der Gerechten
nehmen?«
»Geht das?« Reflexartig hatte Alicia laut gesprochen, dann verwünschte sie sich selbst, als der Pfleger unwillkürlich einen halben Schritt von ihr zurückwich.
»Was meinen Sie mit ›geht das?‹, Captain DeVries?«
»Ohm ... geht das wohl, dass Sie mir sagen, wie lange ich schon hier bin?«, improvisierte sie hektisch.
»Drei Tage, Ma'am«, antwortete er.
»Damit ich dich höre, brauchst du nicht laut zu sprechen, kleines Menschenkind«, sagte Tisiphone im gleichen Augenblick, und am liebsten hätte Alicia sich jetzt die Haare gerauft und sie beide gleichzeitig angeschrien. Die besorgte Vorsicht in der Stimme des Pflegers schien ihr bizarr in den Ohren zu vibrieren, doch sie wurde fast von der Belustigung übertönt, die in dem lautlosen, geistigen Flüstern mitgeschwungen hatte.
»Ich danke Ihnen«, sagte sie und setzte lautlos hinzu: »Könntest du das? Könntest du dafür sorgen, dass er das vergisst?«
»Früher konnte ich das gewiss. Aber heute ...« Alicia spürte eindeutig das geistige Gegenstück zu einem Achselzucken. »Ich könnte es versuchen, wenn du es irgendwie schaffst, ihn zu berühren.«
Alicia blickte zu dem äußerst wachsamen Pfleger hinüber und musste sich sehr zusammennehmen, nicht in ein gänzlich unpassendes Kichern auszubrechen. »Vergiss es! Der arme Kerl ist fest davon überzeugt, dass ich völlig den Verstand verloren habe, und er hat mich mit meinem Dienstgrad angesprochen, also weiß er wohl auch, dass ich zu den Springereinheiten gehöre. Ich bin erstaunt, dass er überhaupt noch hier ist, und wenn ich jetzt versuche, ihn anzufassen, dann erschrecke ich ihn doch bestimmt zu Tode. Ich meine, der hält mich für eine gemeingefährliche Verrückte! Abgesehen davon haben die das bestimmt auch aufgezeichnet.«
»›Aufgezeichnet‹?« Es fühlte sich fast an, als würden geschickte Finger in ihrem Gehirn nach der erforderlichen Information suchen. »Ach so. Mir scheint, ich müsste noch einiges über diese ›Technologie‹ lernen. Wird das von Bedeutung sein?«
»Woher soll ich das denn wissen? Das hängt ganz davon ab, für wie bekloppt die mich hier halten! Jetzt sei mal einen Augenblick still.«
Tief in ihrem Innersten spürte Alicia das Echo immensen Erstaunens eines fremden Wesens - als sei Tisiphone es nicht gewohnt, Befehle von einem gewöhnlichen Sterblichen entgegennehmen zu müssen, und sie musste sich erneut ein fast schon manisches Grinsen verkneifen. Stattdessen versuchte sie sich an einem beruhigenden Lächeln.
»Ich danke Ihnen«, wiederholte sie etwas lauter. »Ich habe mich gefragt ... ich merke wohl, dass es mitten in der Nacht ist, aber könnte ich wohl den diensthabenden Arzt sprechen?«
»Surgeon Captain Okanami ist schon auf dem Weg hierher, Ma'am. Ich hatte schon auf ihn gewartet, als ... das heißt ...« Er sprach nicht weiter, und wieder lächelte Alicia freundlich.
Der arme Kerl! Kein Wunder, dass er schon die hohen Tiere herbeigerufen hat. Der hat sich angehört, wie diese Verrückte hier vor sich hin geplappert hat, und dann haben ihre Vitalfunktionen plötzlich verrückt gespielt. Die jetzt auch noch.
»Ich verstehe. Ja, dann ...«
Während ihres Versuches, irgendeine unverfängliche Bemerkung zu machen, wurde die Tür zu ihrem Zimmer erneut geöffnet. Ein Captain der Navy trat ein; sein Schritt war forsch, aber doch angemessen, auch wenn für Alicia irgendetwas darauf hinwies, dass es ihm schwerfalle, diese Art des Auftretens beizubehalten. Der Äskulap-Stab an seinem Kragenspiegel, der ihn als Offizier im Sanitätsdienst auswies, glitzerte im matten Licht, und während des Eintretens hielt der Mann inne, als sei er erstaunt, dass die Patientin aufrecht im Bett saß. Nein, es war nicht die Art und Weise, wie sie hier saß, die ihn verunsicherte. Es musste ihr Gesichtsausdruck sein. Für ihn machte sie den Eindruck, als sei sie geistig völlig gesund. Sonderbar ... sie fühlte sich ganz und gar nicht so, als könne sie auf irgendjemand anderen ›geistig gesund‹ wirken. Mit einer Hand vollführte der Captain eine kurze Bewegung, als wolle er ein Tier verscheuchen, und der Pfleger mühte sich redlich, sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen, als er fast schon beeindruckend schnell den Raum verließ.
»Also ...«, setzte Captain Okanami an und verschränkte die Arme vor der Brust, als die Tür sich hinter dem Pfleger wieder geschlossen hatte. »Ich bin froh, dass Sie wieder bei uns sind, Captain DeVries.«
Jou, und
Weitere Kostenlose Bücher