Weg des Zorns 02 - Der Zorn der Gerechten
wurde. Die Welt verlangsamte sich.
Alicia biss sich auf die Lippe; die Geschwindigkeit, mit der sich die Furie bewegte, verwirrte sie, und ein schwacher, durchaus vertrauter Schleier legte sich ihr vor die Augen. Rasch klärte sich ihr Blick wieder, und in ihren Ohren klang der helle, herrliche Gesang des ›Tickers‹.
»Wir werden jetzt gehen«, sagte Tisiphone ruhig. »Ich habe Befehle in ihren Computer eingeschleust, um sämtliche Sensoren umzuleiten, das Sicherheitssystem der Türen zu deaktivieren und die Stationsschwester in ein anderes Zimmer zu rufen, aber ich habe keinen Einfluss darauf, wem wir auf dem Weg begegnen könnten. Sich um diese Personen zu kümmern, wird deine Aufgabe sein.«
Mit der geschmeidigen Anmut, die der ›Ticker‹ verlieh, erhob sich Alicia, und die Tür öffnete sich so langsam, als bewege sie sich durch eine zähe Flüssigkeit.
Alicia schlüpfte hindurch. Der Korridor war menschenleer, und die Schwesternstation war unbesetzt - genau wie Tisiphone es versprochen hatte. Doch vor den Fahrstühlen war stets eine Wache postiert. Dem Mann, der die Nachtwache übernahm, war Alicia bereits begegnet, und auch wenn der ernsthafte junge Mann sorgfältig darauf geachtet hatte, es nicht offen auszusprechen, wusste sie genau, warum er hier war. Auch er gehörte den Springereinheiten an. Doch die Fahrstühle befanden sich hinter einer Ecke des Korridors, und Alicia glitt den Gang hinab wie ein Geist und ließ sich von der Ausgelassenheit mitreißen, die der ›Ticker‹ unweigerlich mit sich brachte.
Sie trat um die Ecke, und der Wachmann blickte auf. Sie lächelte ihn an, und er erwiderte das Lächeln - langsam, ganz langsam. Doch dann schwand sein Lächeln, als er die präzisen, fließenden Bewegungen erkannte, die ein Mensch nur unter dem Einfluss des ›Tickers‹ vollbrachte.
Seine Hand zuckte zum Stunner, und vor Ausgelassenheit hätte Alicia beinahe aufgelacht. Der Mann war zu weit entfernt, um ihn zu erreichen, bevor er den Stunner aus dem Holster gezogen hätte, doch er hatte auch nicht das ›Hochgeschwindigkeitswunder‹ in den Adern. Obwohl er die Waffe gezogen hatte, bevor Alicia ihn erreichte, blieb ihm keine Zeit mehr, den Stunner auf eine höhere Leistung einzustellen.
Der grüne Lichtstrahl traf sie - ohne jegliche Wirkung. Die Neural-Schilde, die in sämtliche Implantate der Springereinheiten eingebaut waren, konnten bis zu einem gewissen Maße selbst Disruptor-Treffern widerstehen, und ein Stunner, der einen Elefanten oder einen Eisluchs sofort hätte umstürzen lassen, hatte auf Alicia keinerlei Effekt.
Er ist wirklich jung, dachte sie nachsichtig, als ihre Hände vorschnellten. Vielleicht war er verwirrt, weil er genau wusste, dass man ihre Implantate - einschließlich der Schilde - deaktiviert hatte. Andererseits hatte er offensichtlich die Wirkung des ›Tickers‹ erkannt, und das wiederum bedeutete, dass ihre Erweiterungssätze eindeutig reaktiviert sein mussten. Nur dass ihm natürlich überhaupt keine Zeit geblieben war, über irgendetwas nachzudenken. Wäre er dazu gekommen, hätte er es von Anfang an mit waffenlosem Kampf versucht. Wahrscheinlich hätte er mich auch auf diese Weise nicht aufhalten können, dachte sie, während ihr erster übernatürlich schneller Schlag den Wachmann traf, aber vielleicht hätte er lange genug durchhalten können, um noch Alarm zu schlagen.
Jetzt würden sie beide es nie mehr in Erfahrung bringen. Unglaublich schnell - und doch kam es Alicia vor, als bewege sie sich in Zeitlupe - traf ihre Hand den Mann genau hinter dem Ohr und wirbelte ihn herum wie eine schlaffe Stoffpuppe. Ihre Finger tasteten nach den Druckpunkten, und der Wachmann sackte zu Boden, bevor seine eigenen Implantate hinreichend aktiv geworden waren, irgendetwas dagegen zu unternehmen. Und das Beste von allem, er hatte sie erkannt. Er hatte gewusst, sie würde nicht versuchen, ihn gefangen zu nehmen oder zu verhören, also würden seine Automatik-Protokolle auch nicht implementiert.
Alicia zog den Mann in die Aufzugskabine und schloss die Türen; dabei fragte sie sich, wohin sie nun wohl fahren sollten.
»Nach unten«, sagte eine deutliche Stimme. »In der Tiefgarage steht ein Fahrzeug bereit. Ich habe es heute Morgen für dich reserviert.«
»Ich hoffe, du weißt, was du tust, Lady!«
»Oh, ganz gewiss sogar«, schnurrte Tisiphone, und Alicia drückte den Knopf, der den Fahrstuhl in die Tiefgarage fahren ließ. Mit ihrem ›Ticker‹-Zeitgefühl schien die
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