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Weg mit den Pillen

Weg mit den Pillen

Titel: Weg mit den Pillen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Walach
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Reflex zu bemühen. Möglicherweise hat durch die tiefe Entspannung das Immunsystem eine Kehrtwendung gemacht und den Entzündungsprozess beendet, der am Grund der Schmerzen mit Sicherheit zu finden war.
    Es ist also irreführend, wenn man meint, Effekte von Angstreduktion, Entspannung oder positiver Erwartung fänden »nur« im Kopf statt und nicht im Körper. Sie finden zwar im Kopf statt, genauer gesagt in unserem Erleben. (Ob unser Erleben im Kopf lokalisierbar ist, ist nochmals eine andere und sehr komplexe Frage.) Aber
dieser Kopf hat viele sehr wirksame Verbindungen zum restlichen Organismus. Wir haben zwei solcher Mechanismen und ihre Konsequenzen kennengelernt, die schon besser erforscht sind:
Positive Erwartung führt zu einer Veränderung der Gehirnaktivität. Endorphine sind daran beteiligt, außerdem höchstwahrscheinlich noch andere Botenstoffe.
Dies führt zu einer direkten Beeinflussung der Schmerzwahrnehmung, aber vermutlich auch zu immunologischen Effekten, weil Endorphine vor allem in der Peripherie auch immunologische Funktionen haben.
Viele therapeutische Rituale nützen dies implizit aus: Sie erhöhen die Erwartung, reduzieren Angst, installieren Hoffnung und führen zu Entspannung.
Die wissenschaftliche Erfahrung hat gezeigt, dass allein das positive Zuwenden einen großen therapeutischen Effekt hat.
Die allgemeine Entspannung, die einsetzt, kann direkt das Immun- und Entzündungsgeschehen beeinflussen, und zwar überall im Körper. Vermittelt wird das über den antiinflammatorischen Reflex.
Auf diese Art und Weise ist es gar nicht mehr sinnvoll, Placeboeffekte als Effekte abzuwerten, die man eigentlich nicht braucht oder gar unterdrücken will. Vielmehr zeigen diese Befunde, dass es genau diese unspezifischen, allgemeinen, überall vorhandenen Effekte sind, die das therapeutische Geschehen tragen. Sie sind die eigentlichen Riesen – und nicht die vermeintlich wichtigen spezifischen Effekte der Arzneimittel und chirurgischen Eingriffe.

7.
Noceboeffekte und die Kultur des Bewusstseins
    Vor Kurzem berichtete eine unserer Studentinnen, eine Ärztin, folgende Begebenheit aus ihrer Assistenzarztzeit: Ein Patient hatte eine relativ weit fortgeschrittene Krebserkrankung und fragte seinen behandelnden Arzt: »Herr Doktor, werde ich meinen nächsten Geburtstag noch erleben können?« Der Geburtstag war im nächsten Jahr, einige Monate nach Weihnachten. Das war keine lange Zeit mehr. Der Arzt antwortete drauf: »Weihnachten wird schon schwer werden.« In der Tat verstarb der Patient wenige Tage vor Weihnachten.
    Ein Kollege von mir, der damals an einem medizinisch-theoretischen Institut an einer Universität in Deutschland arbeitete, erlebte persönlich folgende Geschichte:
    Sommer 1996, etwa Mitte August – die Hälfte der Institutsbelegschaft ist im Urlaub, alles wird etwas lockerer gehandhabt, erst recht heute, denn es ist Freitagnachmittag. Der Chef ist nicht da, sein Vize sitzt im Café. In meinem Arbeitszimmer befindet sich neben verschiedenen anatomischen Präparaten ein Schrank mit Chemikalien und Giften, an dem der Schlüssel baumelt … Auf meinem Schreibtisch steht ein großes braunes Apothekergefäß aus Glas. Aufschrift: »Cyanid. Vorsicht Gift!« – darin: Tic Tac mit Orangengeschmack und Traubenzucker. Ich bin gerade nicht da, die Tür ist nur angelehnt.
    Da kommt »Max« (nennen wir ihn einfach so). Seine Freundin hat ihn nicht nur im Stich gelassen, sondern darüber hinaus mit dem wohl einzigen heterosexuellen Krankenpfleger der Station betrogen. Für Max ist das eine doppelte Demütigung, fühlt er sich doch als Jungmediziner dem Pflegepersonal überlegen. Auch sein Studium läuft nicht so brillant, er ist verzweifelt und hat das eine oder andere Mal vor der Arbeit zwei Bier im Wirtshaus nebenan gegurgelt. Max hat bei uns eine Anstellung als wissenschaftliche Hilfskraft, er kommt problemlos überall hinein. Jetzt läuft er durch den Gang nach hinten. Vielleicht wollte er eigentlich auch nur
mit mir oder einem Kollegen reden – nun aber platzt er in mein Zimmer und sieht das Apothekergefäß. Er fasst urplötzlich einen Entschluss (so hat er es uns dann hinterher erzählt). Gott sei Dank fällt ihm nicht auf, dass der Giftschrank nur angelehnt ist; er setzt das Apothekergefäß an den Mund und gönnt sich eine 100er-Packung Tic Tac mit Traubenzucker, verschluckt sich. Das Gefäß in der Faust haltend, torkelt er durchs Institut und bricht zusammen.
    Auf dem Gang ist eine Kamera

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