Weg mit den Pillen
sondern auch klinisch bedeutsam. Wir wissen ja nun mittlerweile, dass statistische Signifikanz bei Studien mit relativ wenigen Patienten anzeigt, dass der gefundene Effekt groß und bedeutsam ist. Dies war bei den eben beschriebenen Studien eindeutig der Fall.
Aber führt nicht mein Vorschlag ins Abseits, man solle vor allem und hauptsächlich auf Prozesse der Selbstheilung setzen, auf positive Erwartung, Entspannung und Angstreduktion, und sich die Pharmakologie sparen? Auch hier gilt es zu differenzieren. Ich nehme einen Figur-Grund-Wechsel vor, eben weil die Betonung aus meiner Sicht bislang zu Unrecht vor allem auf dem mechanistischen Eingreifen in den Organismus lag und immer noch liegt. Der Anteil an der Heilung, der durch die Eigenaktivität des Organismus zustande kommt, wird systematisch kleingeredet, unterschlagen oder gar verdammt. Dem trete ich entgegen und weise auf die andere Seite der Münze hin. Selbstverständlich wird man im Fall ernsthafter Schmerzen lieber zu einem sicheren Opiat greifen
als zu einem derzeit eher schwer zu steuernden Selbstheilungseffekt – obwohl ich mir durchaus vorstellen kann, dass wir mit entsprechender Kenntnis auch auf diesem Gebiet solche Fortschritte machen könnten, dass wir die Fähigkeit zur Selbstheilung systematisch zur Schmerzstillung einsetzen könnten. Wenn wir wüssten wie. Aber es ist eben keine gute Lösung, wenn wir auch bei Schmerzproblemen zu pharmakologisch eigentlich wenig wirksamen Substanzen wie Novalgin greifen (siehe unser Beispiel oben) und darüber vergessen, dass der hauptsächliche Effekt dieser Substanz durch die Bedeutung getragen wird, die ihr beigemessen wird. Es ist auch keine gute Lösung, wenn wir flächendeckend zu Antidepressiva greifen, wenn Menschen ihre Freude am Leben verloren haben. Vielmehr müssen wir den Kontext, die psychischen Hintergründe und die Fähigkeit, sich selbst wieder ins Lot zu bringen, mit berücksichtigen. Chronische Krankheiten, ich wiederhole es, sind komplexe Störungen, die der Organismus eigentätig erzeugt und die selten allein von außen kommen. Daher muss der Organismus auch durch andere als durch pharmakologische Maßnahmen dorthin geführt werden, diese Fehlsteuerung rückgängig zu machen. Pharmakologie und Pillen sind aus meiner Sicht in solchen Situationen die schwächsten Kandidaten für die Einleitung einer Umstimmung.
Entspannung und der entzündungshemmende Reflex
Wir haben eine Vielzahl diagnostischer Kategorien und demzufolge Mengen von verschiedenen Krankheiten. Um jede dieser Krankheitskategorien kümmert sich ein anderer Spezialist, und in jeder dieser Unterkategorien gibt es wiederum wichtige Verzweigungen. Dadurch verliert man leicht den Überblick und die Sicht aufs Ganze. Nehmen wir einmal alle möglichen chronischen Krankheiten zusammen – von chronischer Polyarthritis bis zu koronarer Herzerkrankung – und fragen uns: Was ist das allgemeine Prinzip, das die Störung erzeugt und aufrechterhält? Was wäre eine verbindende Konstante?
Vermutlich die Entzündungsvorgänge, die bei allen eine Rolle spielen. Es handelt sich zwar um sehr viele verschiedene Formen und Arten der Entzündung. Aber im Endeffekt ist Entzündung immer ein Prozess, bei dem das Immunsystem aktiviert wird. In der Regel schütten die Makrophagen (Fresszellen) unseres Abwehrsystems bestimmte Stoffe aus, die einerseits andere Immunzellen aktivieren und andererseits eine Entzündungsreaktion in Gang setzen. Diese Reaktion dient im Akutfall dazu, entweder von außen eingedrungene Erreger zu beseitigen oder im Körper selbst produzierte Schadstoffe herauszubefördern. Die laufend entstehenden Krebszellen zum Beispiel müssen ständig durch unsere natürlichen Killerzellen eliminiert werden, und im Normalfall schaffen die Killerzellen das auch zuverlässig. Hierzu ist nur eine minimale Stimulation nötig – diese führt zu einer Mini-Entzündung, die dann in eine Eliminierung der entarteten Zellen durch die Immunzellen mündet. Gelingt es dem Krebs, diese natürliche Abwehr zu unterlaufen, dann kann er weiterwachsen.
Unser gesamtes Immunsystem ist extrem fein austariert: Die entzündungsfördernden Prozesse, die wir brauchen um Erreger und Krebszellen zu eliminieren, stehen in perfekter Balance mit den Prozessen, die diese Entzündungsreaktionen wieder auf Normalniveau zurückbringen. Wenn diese Balance gestört wird, dann kann es zu langfristigen Entgleisungen kommen, aus denen chronische Krankheiten entstehen.
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