Weg mit den Pillen
vom Lateinischen nocebo : »ich werde schaden«.
Die Basis des Noceboeffekts ist natürlich die Suggestion. Suggestion ist die Kunst, etwas so wahrscheinlich erscheinen zu lassen, dass es dann tatsächlich eintritt. Suggestion wurde zum ersten Mal untersucht, als die Académie française im Jahre 1784 beschloss, die Lehren von Franz Anton Mesmer (1734 – 1815) zu untersuchen. Mesmer hatte behauptet, es gäbe so etwas wie einen »animalischen Magnetismus«, also eine bestimmte Form magnetischer Energie, die von Menschen und Tieren erzeugt würde. Dieser animalische Magnetismus wäre im Krankheitsfalle gestört. Durch das Bestreichen der körpernahen Magnetfelder könne er wieder in die richtige Richtung gelenkt werden. Daraus war eine große Bewegung entstanden, der Mesmerismus, und die französische Akademie der Wissenschaften wollte klären, was dahintersteckte.
Also ließ man einen der Hauptvertreter kommen, einen gewissen Prof. Charles d’Eslon (1750 – 1786), der als Dekan der medizinischen Fakultät zum Mesmerismus übergetreten war. Man bat ihn vorzuführen, wie diese Therapie funktioniere. D’Eslon brachte eine Patientin mit, die man wohl als »hysterisch« im damaligen technischen Sinne des Wortes bezeichnen kann, also jemand, der sehr leicht auf Suggestionen reagiert und noch dazu sehr emotional veranlagt ist. D’Eslon zeigte seine Striche, und die Dame bekam allerhand Anfälle und zeigte Veränderungen des Körpers, wie etwa Versteifungen und Verrenkungen – so, wie es eben für richtig hysterische Patientinnen dieser Zeit typisch war. Mesmer, d’Eslon und andere sahen dies als klaren Beweis für ihre Theorie, dass man durch Bestreichen der menschlichen »Magnetfelder« therapeutische Effekte auslösen könne.
Die Akademie jedoch blieb skeptisch und führte schließlich – zum
ersten Mal in der Medizingeschichte – eine Verblindung als Kontrollprozedur ein. In diesem Fall war das Hilfsmittel ein einfacher Vorhang, der zwischen die Patientin und den Magnetiseur gespannt wurde. Auf der einen Seite wurde der Magnetiseur beobachtet, auf der anderen Seite die Patientin. Keiner wusste vom anderen, was gerade geschah. D’Eslon machte seine magnetischen Pässe, wie man das nannte, aber die Patientin blieb unberührt. Erst als der Vorhang weggezogen wurde und sie den Magnetiseur wieder sehen konnte, traten ihre hysterischen Anfälle auf. Für die Akademie war damit klar: Die Magnetiseure können zwar etwas bewirken, aber dieses »etwas« ist nicht der animalische Magnetismus, wie Mesmer behauptet hatte, sondern einfach die Verbindung zwischen Magnetiseur und behandelter Person. Damit beruht der Effekt auf Suggestion. 39
Nun sollten wir dies aber nicht abwerten. Es zeigt vielmehr, wie stark die Fähigkeit menschlicher Kommunikation ist. Sie kann bis in die körperliche Seite unseres Daseins einwirken, und dies zum Guten wie zum Schlechten. Im Fall der Akademie-Untersuchung wurde negative Suggestion verwendet. Denn der Magnetiseur wollte ja hysterische Symptome erzeugen, nicht notwendigerweise heilen. Aber das Gleiche kann natürlich auch im positiven Sinne funktionieren. Nicht umsonst sind aus den Anfängen Mesmers und seiner Nachfolger die kommunikativen Therapieformen entstanden: die Psychoanalyse und andere Psychotherapien.
Negative Suggestion spielt aber in vielen Lebensbereichen eine Rolle. Vor allem aus der Onkologie ist bekannt, dass Patienten aus Studien genommen werden, weil sie unerträgliche Nebenwirkungen bekommen. Wenn man dann den Code bricht, sieht man, dass die Patienten in der Placebogruppe waren. 40 Wie kann es sein, dass solche Reaktionen überhaupt vorkommen? Das ist ganz einfach nachzuvollziehen: In jeder klinischen Studie muss das Einverständnis des Patienten eingeholt werden. Dazu erhalten die Patienten ausführliche Informationen: über die Art der Durchführung einer Studie, wie oft sie kommen müssen, wie groß die Belastung und der Zeitaufwand sein wird, mit welchen Substanzen sie rechnen
müssen und natürlich auch, mit welchen Wirkungen und Nebenwirkungen. Die Patienten erhalten sozusagen den gesamten Beipackzettel vorgelesen. Der ist natürlich bei tumorhemmenden Krebsarzneien gewaltig lang und enthält auch sehr gravierende Symptome als Nebenwirkungen. Patienten, die diese Information verinnerlicht haben, können leichter das Gefühl bekommen, dass sie das auch betreffen werde. Je mehr sie sich diesem Gefühl hingeben, desto wahrscheinlicher wird das tatsächliche
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