Weg mit den Pillen
Solche Entgleisungen können durch eine falsch gelaufene oder falsch behandelte Infektionskrankheit entstehen, wenn etwa Erreger nicht eliminiert werden, sondern sich festsetzen. Sie können entstehen, wenn persönliche Belastungen dazu führen, dass die Balance innerhalb des Immunsystems verändert wird. Sie können durch unseren Lebensstil entstehen, wenn wir etwa Nahrungsmittel zu uns nehmen, die vor allem die entzündungsfördernde Achse bedienen – oben habe ich kurz die Balance zwischen Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren angeführt.
In diesem Sinne ist es nützlich, die Balance zwischen den entzündungsfördernden und entzündungshemmenden Prozessen in unserem Immunsystem zu betrachten. Dann sehen wir: Eine Fülle von
Krankheiten ist mit einer Überaktivierung der entzündungsfördernden Achse des Immunsystems in Verbindung zu bringen. Das gilt vor allem dort, wo Schmerzen Bestandteil des Symptomenbildes sind, aber auch anderswo.
Die Makrophagen sind entscheidende Koordinatoren in diesem Spiel. Denn sie regen durch ihre Aktivität das Immunsystem an und werden umgekehrt von einem aktivierten Immunsystem an jene Orte im Körper gelockt, an denen es »etwas zu fressen« gibt, wo also Fremdzellen zu vernichten sind. Überall, wo eine Entzündung herrscht, findet man aktivierte Makrophagen.
Seit geraumer Zeit ist aber auch bekannt, dass diese Makrophagen Rezeptoren – also Kontaktstellen – für alle möglichen Neurotransmitter enthalten. Übersetzt heißt dies: Sie kommunizieren direkt mit dem Nervensystem, und nicht nur mit dem Immunsystem als solchem (nämlich über die Interleukine, die sie ausschütten und für die sie sensibel sind). Insbesondere ist für uns die Tatsache interessant, dass die Makrophagen Rezeptoren für den Neurotransmitter Acetylcholin besitzen. Dies ist ein Stoff, der innerhalb des Gehirns als Botenstoff verwendet wird, aber auch außerhalb, und zwar dort vor allem vom sogenannten parasympathischen Arm des autonomen Nervensystems. Das autonome Nervensystem ist von unserem bewussten Einfluss weitgehend unabhängig und regelt selbstständig – daher »autonom« – alle vitalen Prozesse in unserem Körper: Blutdruck, Atmung, Verdauung, Wärmeproduktion, Energiebereitstellung und Stoffwechsel, und eben auch (in Interaktion mit dem Immunsystem) die immunologische Lage.
Das autonome Nervensystem hat zwei Anteile: den Sympathikus und den Parasympathikus. Der sympathische Teil ist vor allem für Aktivität zuständig, der parasympathische vor allem für Erholung. Wenn wir essen, schlafen, uns erholen, uns entspannen und Freude haben, Ferien machen und abschalten, wann immer wir stärker in Richtung Erholung und Energiezufuhr neigen, dann ist das parasympathische System am Werk. Die Hauptüberträgersubstanz, mit der der Parasympathikus arbeitet, ist das Acetylcholin.
Wenn also nun über die Aktivierung des Parasympathikus – wir
hören Erholung, Entspannung, Energie, Freude und sexuelle Aktivität – an den freien Nervenendigungen der parasympathischen Bahnen Acetylcholin ausgeschüttet wird, können Makrophagen dies über ihre Rezeptoren registrieren. Sie nehmen den Stoff auf und regeln daraufhin ihre entzündungsfördernde Aktivität zurück. Sehr simpel ausgedrückt: Entspannung führt zu einer Reduktion der Makrophagenaktivität und damit zu einer Hemmung von Entzündungsreaktionen. Das gilt generell, überall im Körper, wo Makrophagen aktiv sind.
Noch einmal anders formuliert: Wir können durch Entspannung nicht nur ein allgemeines unspezifisches Wohlbefinden erreichen, sondern wir können dadurch auch relativ gezielt Entzündungsreaktionen dort beeinflussen, wo sie nicht hingehören. Dieser Zusammenhang ist seit einigen Jahren bekannt unter dem Namen »entzündungshemmender Reflex«, in der Fachsprache: »antiinflammatorischer Reflex«. 37 Mit seiner Hilfe können wir verstehen, wie eine komplexe Entspannungsmaßnahme, etwa eine Meditation oder Klangtherapie, ein äußerst komplexes chronisches Krankheitsbild beeinflussen kann.
Ich erinnere Sie nochmals an meine eigene Erfahrung, als ich vor Jahren eine langwierige und schmerzhafte Ischiasentzündung hatte. Schließlich entschloss ich mich, meinen Terminplan umzustellen, Reisen abzusagen und meditierte tief und lang. Der Schmerz war weg. Daran könnten die Endorphine beteiligt gewesen sein. Sehr leicht denkbar, wie im vorigen Kapitel klar wurde. An dieser Stelle würde sich nun anbieten, auch noch den antiinflammatorischen
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