Weg mit den Pillen
eine positive Botschaft, eine negative Botschaft und ein Placebo oder nur eine negative Botschaft. 34 Die positive Botschaft bestand in der einfachen Aussage, dass es wohl nichts Schlimmes sei, dass so was öfter mal vorkomme und normalerweise in einer Woche wieder verschwunden sei. Die negative Botschaft bestand in der Anmerkung, dass man nicht die geringste Ahnung habe, was mit dem Patienten eigentlich los sei, dass man das genauer untersuchen müsse und man nicht ausschließen könne, dass es sich um etwas Ernstes handle. Nach zwei Wochen wurden alle Patienten wieder einbestellt. 64 Prozent der Patienten, die eine positive Botschaft erhalten hatten, fühlten sich gebessert, aber nur 39 Prozent derjenigen, die die negative Botschaft erhalten hatten. Ob sie dazu noch ein Placebo erhalten hatten, also eine Art »medikamentöses Siegel der Kommunikation«, veränderte die Besserungsrate nicht. Wir sehen: Allein das Erwecken positiver Erwartung und ein freundlich-kompetenter Umgang sind große Heilmittel. Vermutlich sind es sogar größere Heilmittel als die vielen Medikamente, die noch dazu verabreicht werden.
Möglicherweise sind andere therapeutische Verfahren ein ähnlicher Weg, der dazu führt, dass die in uns wohnenden Selbstheilungskräfte aktiviert werden. Hier taucht also wiederum die Frage danach auf, was wir als Figur und was als Grund ansehen wollen. Wir können sagen: Das ist ja alles »nichts als« Placeboeffekt – und wir haben damit vielleicht in mancher Hinsicht, wissenschaftlich gesehen, sogar recht. Wir können aber auch sagen: Solche Verfahren regen die Selbstheilungskräfte offenbar mehr an als manche andere – und haben damit vielleicht in anderer Hinsicht, nämlich was das Interesse der Patienten und der Allgemeinheit betrifft, sogar noch mehr recht. Denn ein großer Teil der ärztlichen Kunst besteht in der Tat darin, Patienten in die Lage zu versetzen, sich selbst wieder heilen zu können. Dazu gehören vor allem die positive Erwartung, die Hoffnung und das Weichen der Angst.
Alle komplexen therapeutischen Rituale, ob es sich um das Verabreichen homöopathischer Kügelchen, um das Setzen von Akupunkturnadeln oder eine Herzbypass-Operation handelt, enthalten Elemente, die Hoffnung mobilisieren, Angst nehmen und Erwartungen auf Besserung wecken. Und wo solche Erwartungen gesetzt werden, da ist auch die Chance größer, dass eine Besserung eintritt. Dies wird von zwei neueren Studien illustriert. Ted Kaptchuk hat unlängst am Harvard Medical Center eine interessante Studie an Patienten durchgeführt, die am Reizdarmsyndrom litten und bei der die Frage nach der persönlichen Zuwendung im Mittelpunkt stand. 35
Die Ergebnisse sind ein erster und deutlicher klinisch-experimenteller Hinweis darauf, dass positive Interaktion einen wichtigen Anteil an der klinischen Besserung hat. Mittlerweile wissen wir warum: Sie mobilisiert (unter anderem) positive Erwartung. Positive Erwartung führt zu einer Veränderung der Gehirnaktivität und zu einer Ausschüttung von Endorphinen, und diese haben eine Fülle von Effekten – von der Schmerzhemmung bis zur Steigerung des Wohlgefühls und zur Veränderung der immunologischen Lage. Dass die Konsultation einen therapeutischen Effekt hat, wurde auch in einer anderen Studie gezeigt, bei der George Lewith und
seine Kollegen in Southampton, England, Patienten mit rheumatoider Arthritis oder chronischer Polyarthritis homöopathisch behandeln ließen. 36 Die einen Patienten erhielten eine homöopathische Konsultation (also ein ausführliches Erstgespräch), ein anderer Teil nicht. Diejenigen, die das Erstgespräch erhalten hatten, bekamen dann anschließend entweder (wieder durch Zufall ausgewählt) das entsprechende homöopathische Arzneimittel oder ein Placebo oder ein sogenanntes Komplexmittel (eine Mischung verschiedener homöopathischer Arzneien, die nicht individuell ausgewählt werden müssen). Die Gruppe ohne ausführliches Erstgespräch bekam eine Komplexarznei oder Placebo. Die Studie war zwar klein und daher sind ihre Aussagen als vorläufig zu betrachten. Aber es hat sich klar gezeigt: Die Konsultation hat einen klinisch deutlichen und statistisch signifikanten Effekt, während sich die Effekte der Substanzen – individualisierte Homöopathie, Komplexhomöopathie oder Placebo – kaum voneinander trennen ließen.
Wir sehen erneut: Zuwendung, Kontakt und Anteilnahme führen zu deutlichen Verbesserungen. Diese sind nicht nur statistisch signifikant,
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