Weg mit den Pillen
sondern Urheber ihrer Gedanken sind. In dem Ausmaß, in dem wir lernen, den Inhalt unseres Geistes mitzubestimmen, in diesem Ausmaß können wir auch die positiven Kräfte unseres Innenlebens nützen. Wir können positive Erwartungen kultivieren, wir können etwas gegen unsere Angst und Sorge unternehmen, wir können uns davor hüten, in depressive Schleifen abzurutschen.
Während meiner Zeit an der University of Northampton in England kam der Leiter des dortigen ambulanten psychologisch-psychiatrischen Versorgungszentrums auf mich zu. Er habe viele Angst- und Depressionspatienten, denen man mit herkömmlichen Therapien nicht helfen könne. Sie sprächen auch nicht mehr auf Medikamente an oder wollten sie nicht nehmen. Er habe gehört, dass man mit Achtsamkeit solche Patienten behandeln könne und dass wir uns damit beschäftigten. Ob wir bereit wären, solche Achtsamkeitsgruppen für depressive und ängstliche Patienten anzubieten?
Ich hatte damals mit meiner Doktorandin Siobhan Lynch gerade ein Achtsamkeitsprogramm für Studenten entwickelt und fand die Aufgabe reizvoll. Also sagten wir zu. Wir hatten bereits in unserer Studentengruppe eine Studentin, die so voller Angst war, dass sie es kaum auf meinem Besucherstuhl aushielt. Sie wollte wissen, ob sie mitmachen könne. Ich sagte ihr, das würde davon abhängen, ob sie bereit wäre, die Übungen, die wir anbieten, auch zu Hause
zu üben. Sie meinte, sie sei so verzweifelt, sie würde alles tun, also ihretwegen auch meditieren lernen. Und das tat sie dann.
Nach drei Sitzungen bereits – wir hatten über acht Wochen jeweils einmal pro Woche eine Zusammenkunft, dazwischen sollten die Teilnehmer üben – war sie wie ausgewechselt. Ihre fahrigen Blicke waren stetig geworden. Sie gab an, dass sie zum ersten Mal seit langer Zeit wieder richtig schlafen konnte; sie mache die Meditationsübung im Bett, vor dem Einschlafen. Und beim Abschlussinterview war sie der glücklichste Mensch. Sie hatte gelernt, ihre angstbesetzten Gedanken loszulassen. Wie? Ganz einfach dadurch, dass sie sich auf den Atem konzentrierte, der ganz intim mit allen möglichen Körpersensationen verquickt ist. Dadurch nahm sie wahr, dass es auch noch andere Inhalte außer der Angst gibt. Sie spürte auch, dass sie diese geistigen Inhalte selbst in der Hand hat. Schließlich mögen auch noch die gute Atmosphäre, die Gruppenunterstützung und die Entspannung ihren Teil beigetragen haben. Jedenfalls zeigte mir diese Studentin, dass es zumindest im Prinzip möglich ist, durch Kultivierung eines anderen Geisteszustandes aus den destruktiven Schleifen der Angst und der Depression zu entweichen.
Wir sehen: Das Kultivieren der rechten inneren Haltung kann genauso therapeutisch sein, wie das Kultivieren einer negativen Haltung katastrophale, ja tödliche Folgen haben kann. Mittlerweile ist zumindest in England eine strukturierte Form des Achtsamkeitstrainings zur Rückfallverhütung bei depressiven Patienten in die öffentliche Versorgung aufgenommen worden. Denn es hat sich gezeigt, dass mit einem solchen Training Rückfälle in die Depression verhütet werden können, und zwar beinahe doppelt so oft wie über eine Dauermedikation. In einer neuen Studie betrug die Rückfallquote unter Dauermedikation mit Antidepressiva 60 Prozent, in der Achtsamkeitsgruppe waren es 47 Prozent. 43 In einer früheren Studie waren es 38 Prozent Rückfall in der Meditationsgruppe und 78 Prozent in der Medikamentengruppe. 44 In der allerneuesten Studie wurden diese Daten im Wesentlichen bestätigt: Die Meditationsgruppe wies 38 Prozent Rückfälle auf, die Medikamentengruppe
48 Prozent Rückfälle und die Placebogruppe, die es in dieser Untersuchung auch gab, 60 Prozent Rückfälle. 45
Diese Befunde zeigen uns etwas, das für unser Thema sehr wichtig ist: Die Kraft des Bewusstseins, zur Heilung beizutragen, ist beträchtlich größer, als man das gemeinhin glaubt. Sie ist vor allem bei psychischen Störungen deutlich größer als die Kraft der Medikamente. Warum das so ist, können wir aus dem erschließen, was ich oben berichtet habe. Wenn wir positive Gedanken in uns kultivieren, dann lösen wir damit positive Prozesse in uns aus. Die Selbstheilungskräfte unserer Psyche werden aktiviert. Der vermeintliche Ausschuss, der »Abfall« der pharmakologischen Forschung, als »Placebo« bekannt und verlacht, wird nun plötzlich zum Gold. Dies ist ein konkretes Beispiel für den Figur-Grund-Wechsel, von dem ich gesprochen habe.
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