Weg mit den Pillen
Nicht die materiell-pharmakologischen Eingriffe sind das Wichtige, Mächtige, Bedeutende, und die Psychologie drum herum ist zu vernachlässigen. Nein: Die Psychologie, die Art, wie wir unser Bewusstsein gestalten, ist das Entscheidende. Wir haben gesehen:
Noceboeffekte als negative Auswirkungen schädlicher Kommunikation und negativer Erwartung sind genauso mächtig wie positive Effekte der Erwartung.
Sie können so stark sein, dass sogar Nebenwirkungen von Krebsarzneien in der Placebogruppe auftauchen können und Menschen an Flüchen sterben können.
Wir können diese Einsichten positiv nutzen, indem wir andere Bewusstseinszustände kultivieren.
Dies können wir zum Beispiel über meditative Verfahren erreichen. Die achtsamkeitsbasierte Prävention von Depression ist z. B. um einiges wirksamer als die medikamentöse Prävention.
9.
Ernährung, Nahrungsenthaltung, Lebensstil
Vor einigen Jahren habe ich mich mit einem fast vergessenen, aber wichtigen Kartäusermystiker beschäftigt und seine Schriften ins Deutsche übersetzt. 56 Deswegen wollte ich einmal sehen und aus der Nähe erleben, wie diese Kartäuser leben. Die Kartäuser sind ein Mönchsorden, der im Jahr 1084 gegründet wurde und sich über ganz Europa verbreitete.
Ein Kartäuserkloster ist meistens sehr einsam gelegen, weil die Mönche als Einsiedler leben. Jeder hat sein eigenes kleines Haus mit Schlafkammer und Werkstatt sowie einen kleinen Garten. Die Häuser sind aneinandergebaut und über einen Kreuzgang verbunden. Etwa acht Stunden am Tag beten und meditieren die Mönche allein und einige Stunden auch gemeinsam beim Chorgebet. Sie gehen gegen 20 Uhr zu Bett und stehen nachts um 23 Uhr auf, um das Stundengebet zu beten. Gegen Mitternacht oder ein Uhr (je nachdem, wie lang die Nachtgebetszeit dauert) gehen sie wieder ins Bett und schlafen bis halb sechs. Dann gehen sie wieder in die Kirche, feiern das Morgengebet, anschließend zelebrieren sie gemeinsam die Messe und dann beginnt der private Teil der Andacht in der Zelle. Um zehn Uhr kommt das Essen. Es wird über den Kreuzgang in eine Fensternische gestellt, von wo aus der Mönch es sich holen kann. Dann beten die Mönche die Mittagsandacht, machen anschließend eine kleine Pause, arbeiten für etwa drei Stunden in der Werkstatt oder im Garten, und dann geht es wieder weiter mit der Andacht und dem Gebet. Gegen 16 Uhr kommt nochmals etwas zu essen, eher weniger als mehr. Und in der ordenseigenen Fastenzeit, die von September bis Ostern geht, fällt diese zweite Mahlzeit entweder ganz aus oder sie besteht nur aus sehr wenig, wie etwa Salat. Diese Essensroutine wird nur unterbrochen, wenn Fest- und Feiertage sind. Dann essen alle gemeinsam im Speisesaal, und es gibt vielleicht auch einmal ein Gläschen Wein.
Die Kartäuser wurden oft angefeindet. In einer mittelalterlichen
Streitschrift kann man lesen, dass ihr Verzicht auf Fleisch besonders anrüchig sei und dass sie sich durch ihren Vegetarismus von anderen abhöben. Das tun sie seit ihrer Gründung. Fisch essen sie manchmal, vor allem zu Festtagen, aber ansonsten sind sie strikte Vegetarier.
Bei meinem Besuch in der Kartause Marienau war ich erstaunt, wie glücklich und freundlich alle aussahen. Die meisten hatten ein strahlendes Gesicht, und mein Gewährsmann, der Bibliothekar, der mir als Begleiter zugeteilt worden war und für diese Zeit auch von seiner Schweigeauflage entbunden war, erzählte mir, dass die meisten Kartäusermönche sehr alt würden. Vor 80 würde kaum einer sterben und viele seien um einiges älter, in ihren 90ern. Die meisten »fielen einfach tot um« oder würden in ihrem Bett gefunden – die verbreitetste Todesursache sei Altersschwäche. Ernste und lange Krankheiten seien selten. Das wunderte mich dann doch ein bisschen. Denn der gesunde Menschenverstand sagt einem doch, dass ein Leben mit so wenig Nahrung, dass ein so langer Aufenthalt in ungeheizten Räumen den Körper doch eher stark mitnehmen sollte. Das Gegenteil ist der Fall. Die Kartäuser sind robust und zufrieden.
Die moderne Forschung zeigt nun, dass das, was die Kartäuser machen, vielleicht auch für uns Normalbürger gar nicht so dumm wäre: nämlich die Anzahl der zugeführten Kalorien zu reduzieren und hin und wieder eine kleine oder sogar längere Fastenperiode einzulegen. Außerdem dürfte die rein pflanzliche Ernährung insgesamt auch gesünder sein als die stark auf Fleisch basierende Kost, die bei uns im Westen immer noch üblich ist. In diesem
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