Weg mit den Pillen
möglich ist, oder ob er sich in die Hand eines guten Chirurgen begibt, von dem er sicher ist, ein neues Leben geschenkt zu bekommen – letztlich ist es immer der Glaube des Patienten, der den Heilungsprozess befördert.
Möglicherweise findet dabei eine unbewusste Interaktion statt. Die meisten guten Heiler, die meisten guten Chirurgen bewirken ja vielleicht auch eine subtile Änderung und lenken die Aufmerksamkeit des Patienten darauf. Das Wahrnehmen dieser Veränderung (»Au ja, jetzt wird es ganz warm, wo Ihre Hand ist; tatsächlich, ich hab schon weniger Schmerzen!«) bestätigt den positiven Zirkel des Glaubens. Und schon ist das Wunder der Selbstheilung vollbracht. Wir kennen aus dem Neuen Testament eine Fülle von Geschichten, bei denen der biblische Jesus irgendwelche Gelähmten, Tauben, Blinden oder andere Menschen heilt. Fast immer stellt er dabei den Glauben des Geheilten in den Mittelpunkt des Geschehens, nicht seine eigene Heilungsgabe. Er sagt »Dein Glaube hat Dich geheilt«. Bei der Geschichte von der blutflüssigen Frau wird die subtile Interaktion sehr deutlich. Dort wird Jesus in einer großen Menge von jemandem berührt und fragt, wer in berührt habe. Die Jünger machen sich über ihn lustig und weisen drauf hin, dass so ein riesiges Gedränge sei, dass ihn Mengen von Leuten jeden Augenblick berühren. Er aber besteht darauf: Er habe gespürt, dass ja doch eine Kraft von ihm selbst ausgegangen sei, also müsse ihn jemand mit der Intention, geheilt zu werden , angegriffen haben. Daraufhin gibt sich die Frau zu erkennen, die an Dauerblutungen litt. Man muss sich an dieser Stelle klar machen, dass eine blutende Frau im jüdischen Kontext unrein war. Sie durfte eigentlich gar nicht unter die Leute gehen und schon gar keinen Mann, geschweige denn einen Rabbi, wie es Jesus war, anfassen. Die Frau tat es trotzdem – wohl in dem Glauben, dass sie von ihm geheilt werden könnte. Nun hat sie große Angst entdeckt zu werden. Doch man findet sie und ihr Tabubruch fliegt auf. Aber anders als erwartet empfängt sie keine Prügel, sondern Heilung. Was ist geschehen? Jesus sagt es ihr: Ihr Glaube hat sie geheilt. 106
Der Glaube kann sich interessanterweise aber immer nur in der Begegnung mit einem Heiler zeigen. »Frei schwebend« können wir offenbar nicht stark genug glauben. Daher richten wir unsere Erwartung immer auf einen anderen: einen mächtigen Arzt, einen mächtigen Heiler oder Therapeuten. Denn in diesem Begegnungskontext
entsteht genau jener Funke Glauben, aus dem Heilung kommt. Vielleicht könnten wir ja wirklich auch so genügend Glauben mobilisieren, aber das ist wohl schwer. Insofern heißt Glauben immer: Vertrauen in ein Gegenüber, das mir durch seine Zuwendung und das, was er oder sie sonst noch an Möglichkeiten hat, helfen kann. Es wäre vermutlich irreführend, diese Heilung dann jemandem bestimmten zuschreiben zu wollen: dem Heiler, dem Doktor, dem Therapeuten, dem Patienten. Es ist immer die Interaktion zwischen beiden, das Dazwischen sozusagen, das diesen Glauben entfacht.
Was meinen wir mit Glauben? Ich schlage vor, den Begriff hier so zu verstehen: Glauben ist das existenzielle Vertrauen, dass sich eine Situation zum Guten wenden kann. Wenn wir diesen Glauben ohne ein bisschen Zweifel mobilisieren können, sodass wir gleichsam das Ergebnis schon vorwegnehmen, als wäre es schon Wirklichkeit, dann haben wir genau jenen biblischen Glauben aktiviert, der die Wirklichkeit verändert und Heilung bringen kann. Den Glauben, von dem das Neue Testament sagt, er könne Berge versetzen.
Ich habe einmal eine alte Heilerin besucht, Ursula Kress, weil ich wissen wollte, wie sie arbeitet und was ihr Modell vom Heilen ist. 107 Sie hat mir vorher viele Fallberichte geschickt, manche davon sehr gut dokumentiert. Oftmals waren schwere Fälle missgebildeter Kinder darunter, die unter ihrer Hand wieder gerade laufen lernten, gleichlange Glieder bekamen und derlei unglaubliche Geschichten. Ich wollte wissen, was sie da macht. Sie sagte: » Ich stelle mir vor, wie es sein soll, und genau so wird es dann. « Dies halte ich für einen zentralen Satz, der das gut trifft, was ich hier versuche mit dem Wort »Glauben« zu umreißen. Wir müssen in uns eine Vorstellung entwickeln – ob als Patienten oder als Therapeuten –, wie etwas sein soll und werden könnte, dann haben wir auch die Chance, dass es so wird. Ob es so wird, steht nicht immer in unserer Hand. Aber ohne eine solche positive Vision wird
Weitere Kostenlose Bücher