Wege des Herzens
Grüßen,
Jack McDonald
Als Vonni den Kopf hob, stand Takis am Fenster und schaute hinaus auf die Hausdächer, die Richtung Hafen lagen. Er vermied es, ihr in die Augen zu blicken, und versuchte, ein neutrales Gesicht zu machen, auf dem nicht geschrieben stand: »Habe ich es dir nicht gesagt.« Ihr war nun gar nichts mehr geblieben. Er hatte sie gewarnt.
»Tja, danke, Takis. Jetzt wissen wir, woran wir sind.«
»Ja, das stimmt«, erwiderte er.
»Also, machen wir uns auf den Weg zum Hafen.«
»Trotz dieses Briefes kannst du zu einem Abschiedsfest gehen? Du bist wirklich eine bemerkenswerte Frau, Vonni.«
Sie lächelte, wie sie alle ihre Freunde auf der Insel anlächelte – das Lächeln eines Menschen, der sich glücklich und frei fühlte und der gerade eben den Beweis bekommen hatte, dass er alle seine Schulden abbezahlt hatte. Was Vonni wollte, war nicht Mitleid sondern Solidarität.
»
Pame
, Vonni«, sagte Takis.
»
Pame
, Takis, gehen wir in die Taverne«, entgegnete sie.
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KAPITEL NEUN
L inda Casey wünschte sich, sie würde in einer anderen Epoche leben, in einer Zeit, in der man ihre Talente zu schätzen gewusst hätte. Als königliche Mätresse hätte sie sich gut gemacht oder als Geliebte in einer Luxuswohnung, sogar als Gattin eines vornehmen Landbesitzers, der ihr ein kleines Stadthaus in Dublin finanzierte.
Aber nein, sie musste natürlich hier und jetzt leben, in einer Welt, in der alle, Männer und Frauen, für ihren Lebensunterhalt arbeiten mussten. Sollten sie der Frauenbewegung dafür vielleicht auch noch dankbar sein? Für eine Welt, in der Beziehungen nur auf vagen Versprechungen basierten und in der jede zweite Ehe zerbrach? Und Tag und Nacht dankbar sollte man in dieser Welt auch noch dafür sein, dass man ein Dach über dem Kopf hatte, jung und einigermaßen gutaussehend war und eine gute Ausbildung genossen hatte.
Doch Linda wollte mehr, viel mehr.
Aber sehr weit kam sie nicht mit ihren Versuchen, das ihrer Umwelt klarzumachen – zumindest nicht bei ihrer Mutter. Mam schien in der letzten Zeit als eine Art wandelnde Werbekampagne vorzuführen, wie die gutsituierte, gepflegte Frau in mittleren Jahren zu leben hatte. Linda war Zeugin geworden, wie ihre Mutter ihre Blazer mit Zitronensaft betupfte, wie sie Schuhspanner in ihre Schuhe schob, damit diese ihre Form behielten, wie sie ihre Handtasche polierte und ihren Hals mit einer reichhaltigen Nachtcreme verwöhnte. Und
wozu
das Ganze? Ihre Mutter war trotzdem noch immer ein trauriger, getriebener Mensch. Was nützte es da, wenn sie noch so gut aussah? Innerlich war sie wie jeder andere auch – ein wandelndes Chaos.
Linda konnte sich nicht an eine Zeit erinnern, in der ihre Eltern gut miteinander ausgekommen wären. Ihre zwei Jahre ältere Schwester Adi behauptete zwar, dies sei durchaus der Fall gewesen, aber Adi war ja auch sentimental: Bäume hatten Gefühle, und auf Ledersofas zu sitzen war nicht gut, da ein Tier dafür sein Leben hatte lassen müssen. Und dann Adis Freund Gerry … Ein totaler Spinner! Adi ließ sich von ihm wie ein Fußabstreifer behandeln.
Nie würde Linda sich wegen eines Mannes auf so ein Spiel einlassen, ganz gleich, wie wunderbar der Typ auch sein mochte. Aber bisher hatte sie nicht viele wunderbare Männer kennengelernt, eigentlich noch nicht einmal einen einzigen, um ehrlich zu sein. Wo immer sie sich auch herumtrieben – in Dublin bestimmt nicht.
Nur mit Simon war sie bisher schon drei Mal ausgegangen, für Lindas Verhältnisse grenzte das fast schon an eine Ehe. Simon war sehr attraktiv. Er hatte einen reichen Vater, eine hingebungsvolle Mutter und eine Stelle in der Immobilienfirma seines Onkels, wo er nur wenig zu tun hatte. Doch Simon war daran gewöhnt, mit Frauen auszugehen, die ebenfalls nicht auf den Cent schauen mussten. Sie teilten sich zwar nicht die Kosten beim Essen im Restaurant, aber manchmal spendierten diese Frauen ein paar Drinks in einem Hotel oder luden ein paar Leute zum Mittagessen beim Italiener ein. Linda konnte da leider nicht mithalten.
»Im Grunde genommen bist du immer noch Daddys kleiner Liebling und suchst jemanden, der dich ein Leben lang versorgt, Linda«, hatte Simon zu ihr gesagt, ehe er sich zu neuen Eroberungen aufmachte.
Da täuschte er sich gründlich. Sie war
keine
Vatertochter. Schließlich nannte sie ihre Vater »Alan«. Das bewies doch, wie weit entfernt sie von Daddys kleinem Mädchen war.
Er war derjenige, der immer egoistisch und kindisch
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