Wege des Herzens
immer für mich gespart.«
»Am liebsten würde ich allen meinen Kunden sagen, dass mein Junge heute anfängt, als Herzspezialist zu arbeiten«, fuhr Molly fort und strahlte dabei vor Glück über das ganze Gesicht.
Declan Carroll wusste genau, dass sie es jedem erzählen würde, der in den Waschsalon kam. Wahrscheinlich zeigte sie allen auch noch das Foto von seiner Abschlussfeier – Declan in voller Montur mit Sommersprossen und rotem Haar. Auf dem Bild sah er aus wie ein Hochstapler, dachte er schaudernd. Vergrößerungen dieses Fotos standen in allen drei Zimmern ihres winzigen Häuschens.
Dimples, teils Labrador, teils Promenadenmischung, freute sich über das unerwartete Frühstück. Vielleicht bildete er sich das nur ein, aber Declan hatte das Gefühl, dass sogar der Hund an diesem Morgen stolz auf ihn war. Nur gut, dass keiner in seiner Familie wusste, wie nervös er an seinem ersten Tag als der »Neue« war. Er musste unbedingt rechtzeitig seinen Dienst antreten, es wäre ein sehr schlechter Anfang, zu spät zu kommen. Declan streichelte den Kopf des mehr als satten Hundes und machte sich auf den Weg. Während er sein Fahrrad durch den dichten Berufsverkehr zu der Herzklinik lenkte, bedauerte er es sehr, dort keinen Vorgänger zu haben, der ihm nützliche Hinweise hätte geben können. Doch die Klinikambulanz war neu, und er war dort der erste Assistenzarzt und Mädchen für alles. Oder wie seine Mutter es jedem erklärte … der Chefkardiologe.
Declan sperrte sein Rad vor der Klinik ab. Er musste zwar erst um halb zehn Uhr seinen Dienst antreten, war sicherheitshalber aber bereits eine halbe Stunde früher da. Dr.Casey, schick, kühl und tüchtig, hatte ihn bei seinem Vorstellungstermin bereits überall herumgeführt. Alles war weiträumig und hell, wie in einem Großraumbüro. Clara Casey legte offenbar großen Wert darauf, dass sich niemand hinter verschlossenen Türen verstecken konnte. Selbstverständlich bekam er seinen eigenen Schreibtisch und seinen Aktenschrank, aber im Vordergrund seiner Arbeit würde das Bemühen stehen, die Patienten in die Lage zu versetzen, selbst mit ihrer Krankheit zurechtzukommen; und dabei sollten alle im Team am selben Strang ziehen.
Sie war gut, diese Dr.Casey; Declan hatte gehört, dass sie zu Beginn des Jahres als mögliche Nachfolgerin des Leiters der Kardiologie im St. Brigid Hospital im Gespräch gewesen war, aber dazu war es dann nicht gekommen. Vielleicht hatte sie nicht gewollt. Eines sprach mit Sicherheit für sie: Sie hatte keine Angst vor der Krankenhausverwaltung. Das war für ihre zukünftige Arbeit von großem Vorteil, dachte Declan und stellte sich im selben Atemzug die Frage, ob er selbst wohl jemals so furchtlos wäre. Wahrscheinlich nicht. Er neigte von Natur aus eher zur Vorsicht, und seine Eltern waren so bescheiden und demütig, dass er es vor diesem Hintergrund nie wagen würde, aus der Reihe zu tanzen. Declan erinnerte sich wieder an jene Nacht in der Notaufnahme, als er Dienst gehabt hatte und dieser junge Motorradfahrer buchstäblich in seinen Armen gestorben war. Als er, immer noch am ganzen Körper zitternd, nach Hause kam, erzählte er seiner Mutter und seinem Vater davon.
»Die können dir deswegen aber keinen Vorwurf machen«, hatte Molly resolut beteuert.
»Niemand kann mit dem Finger auf dich zeigen, mein Sohn.« Paddy war loyal bis in die Knochen.
Keiner von beiden schien zu begreifen, dass Declan sich nicht im Mindesten verantwortlich für den Tod eines leichtsinnigen Motorradfahrers mit zu viel Alkohol im Blut fühlte. Er wollte lediglich etwas Mitgefühl dafür bekommen, dass ein Neunzehnjähriger in seinen Armen seinen letzten Atemzug getan hatte. Er wünschte sich, seine Eltern würden ihn am Arm nehmen und sagen: »Du bist ein feiner Kerl, Declan, und eines Tages wirst du ein großartiger Arzt sein …« Doch stattdessen hatten sie sich Sorgen gemacht, er könnte etwas falsch gemacht haben. Es war schwer, couragiert und furchtlos zu sein, wenn man von zu Hause nur die permanente Angst kannte, dass der Supermarkt die Fleischabteilung schließen und der Vater seine Stellung verlieren oder dass in der Wäscherei eine jüngere und hübschere Angestellte seiner Mutter vorgezogen werden könnte.
Doch Declan war ein guter Zuhörer. Er würde sich bestimmt bald an seinem neuen Arbeitsplatz zurechtfinden.
Er hoffte, dass er nicht
zu
früh dran war. Das machte vielleicht einen etwas zu eifrigen und zu bemühten Eindruck. Aber
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