Wege des Herzens
gefürchtet, die Kisten auszupacken, aus Angst, Frank, dieser Arsch-wie-hieß-er-gleich-noch aus der Verwaltung, könne sie sich wieder unter den Nagel reißen. Doch nein, die schlaue Clara hatte eine Pressekonferenz gegeben, großen Wirbel darum gemacht, wie supermodern die Gerätschaften seien, und dabei dem Krankenhaus St. Brigid in aller Öffentlichkeit für das große Engagement gedankt. Jetzt konnte Frank, der Arsch, keinen Rückzieher mehr machen.
Declan fiel auf, dass alle die Leiterin der Tagesklinik zwar siezten, aber beim Vornamen nannten. Das war ein gewaltiger Unterschied zu seiner vorherigen Stelle, wo es nur Mister und Doktor Carroll geheißen hatte und die Hackordnung innerhalb der Hierarchien streng eingehalten wurde.
»Wie läuft das bei den Patienten?«, wollte Declan von Hilary wissen. »Sollen wir sie auch beim Vornamen nennen?«
»Wir fragen die Leute, wie sie es am liebsten hätten. Clara sagt, dass sie alle mit dem Vornamen angesprochen werden wollen, aber oft passt das ihren Kindern nicht. Die halten uns für zu vertraulich.« Declan verstand nur allzu gut.
In dem Augenblick betrat Clara – dunkelhaarig, groß und sehr schick – den Raum. Dass sie sehr großen Wert auf ihr Äußeres zu legen schien, war das Erste, das jedem an ihr auffiel. Das Zweite war ihr Lächeln, mit dem sie einem das Gefühl gab, in dem Moment der einzige Mensch auf der Welt zu sein, der für sie wichtig war.
»Declan Carroll. Herzlich willkommen. Es tut mir leid, dass ich vorhin keine Zeit hatte, um Sie an Ihrem ersten Tag persönlich zu begrüßen, aber ich hatte einen Termin mit ein paar Neandertalern drüben im Krankenhaus. Man darf diese Treffen auf keinen Fall versäumen, sonst werden dort die absurdesten Dinge beschlossen, ohne dass man davon erfährt. Aber jetzt bin ich ja hier. Haben Sie bereits alle kennengelernt?«
»O ja, das habe ich.«
»Und, sind Sie bereit? Kann’s losgehen?«
»Aber natürlich.« Declan fragte sich, ob er wohl jemals über so viel Selbstvertrauen und Kultiviertheit wie diese elegante Frau verfügen würde.
»Gut, dann gehen wir.« Und mit diesen Worten wandte sie sich nach links, wo die Behandlungskabinen lagen, alle drei hell erleuchtet und durch buntgemusterte Vorhänge voneinander getrennt, so dass die Intimsphäre eines jeden Patienten gewahrt blieb. In jeder Kabine standen Behandlungsstühle, die sich zu Betten umfunktionieren ließen, falls der Patient im Liegen untersucht werden musste. Vor der ersten Kabine blieben sie stehen. Eine ältere Frau beäugte sie misstrauisch.
»Das ist Dr.Declan Carroll, Kitty. Und das, Declan, ist Mrs.Kitty Reilly. Hier ist ihre Patientenkarte. Sie ist in guter körperlicher Verfassung und muss im Abstand von drei Wochen zu uns kommen. Declan wird jetzt Ihr Herz und Ihre Lunge abhören, Kitty. Ich überlasse Sie seinen erfahrenen Händen.«
»Was ist aus dem anderen Doktor geworden, der Bursche, der letztes Mal da war?«
»Das war Sulong. Er war nur zur Aushilfe da, bis Declan kommen konnte«, erklärte Clara.
»War der eigentlich ein richtiger Arzt? Hat der überhaupt eine Ausbildung gemacht, dort, wo der herkam?«
»Ja, aber selbstverständlich. Er hat in Malaysia eine hervorragende Ausbildung genossen. Aber wie gesagt, er hat nur ausgeholfen.«
»Wie geht es Ihnen, Mrs.Reilly, oder soll ich Sie lieber Kitty nennen? Was ist Ihnen denn lieber?« Declan spürte Claras anerkennenden Blick im Nacken.
»Also, nachdem Sie mit Ihren Fingern an mir herumfummeln werden, können Sie mich ruhig Kitty nennen«, sagte sie fast vorwurfsvoll.
»Gern, Kitty, und welche Tabletten nehmen Sie?«
»Himmel, Sie sind ja genauso schlimm wie diese Schwester Barbara, die mich dauernd damit nervt. Ständig fragt sie mich, ob ich weiß, welche Tablette das und welche das ist. Ich schätze, ich nehme das, was ihr mir hier verschrieben habt.«
»Es ist aber sehr nützlich für Sie, Kitty, wenn Sie wissen, was Sie einnehmen müssen.« Declan setzte sein überzeugendstes Lächeln auf.
»Ich sehe nicht ein, warum.« Kitty Reillys Miene ließ darauf schließen, dass sie auf Streit aus war. »Das ist doch euer Job, oder? Ich muss die Tabletten nur schlucken.«
»Sicher doch, aber einmal angenommen, Sie bekommen zu Hause schlecht Luft und rufen uns deswegen an, dann könnten wir Ihnen sofort sagen, nehmen Sie ein Diuretikum, eine Entwässerungspille. Aber das nützt nichts, wenn Sie nicht wissen, welche Tablette das ist.«
Kittys Miene war nur noch halb
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