Wege des Herzens
wollte sie ihn tatsächlich als Waffe gegen Alan einsetzen. Alan wich zur Tür zurück und suchte das Weite. In dem Moment empfand Clara weder Entrüstung noch Wut. Sie fühlte sich nur noch leer und dumm und schämte sich, dass sie auch nur eine Sekunde an die Hoffnung verschwendet hatte, dass dieser wertlose Mann seiner Geliebten überdrüssig werden und zu ihr zurückkommen könnte.
Morgen würde sie die Scheidung einreichen.
Was weder ihre Mutter, ihre Töchter noch ihre gute Freundin Dervla und ihre neue Assistentin Hilary geschafft hatten – Alan hatte es zustande gebracht. Mit seinem plumpen Versuch, wieder in ihrem Bett zu landen, und seiner überheblichen Annahme, dass sie bereitwillig darauf eingehen würde, hatte er tatsächlich erreicht, was er wollte – nämlich die Scheidung. Vielleicht hatte er das aber auch gar nicht beabsichtigt. Doch das würde sie jetzt nie mehr erfahren, aber es war ihr auch egal. Sie hatte wichtigere Dinge zu bedenken. Und zum ersten Mal, seit Clara ihre neue Stelle angetreten hatte, hatte sie das Gefühl, dass diese Arbeit tatsächlich der wichtigste Teil ihres Lebens war.
Ab sofort würde sie jeden Gedanken an Alan in den hintersten Winkel ihres Gedächtnisses verbannen und stattdessen nur an das denken, was morgen vor ihr lag. Morgen würde der neue Assistenzarzt seinen Dienst antreten, und sie würde ihn in der Klinik mit allen bekannt machen. Der rothaarige, ruhige junge Mann mit dem überzeugenden Lebenslauf schien sehr nett zu sein – genau das, was ihre Herzpatienten brauchten. Sein Name war Declan Carroll, und Clara hatte das Gefühl, dass er sich sehr gut machen würde.
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KAPITEL ZWEI
E s nützte nichts. Er konnte seiner Mutter noch so oft versichern, dass es nur ein Nullachtfünfzehn-Job war, den er in der Herzklinik antrat – Molly Carroll erzählte jedem, dass ihr Sohn zum Chefkardiologen befördert worden sei. Irgendwann gab Declan den Versuch auf, das Missverständnis aufzuklären, sahen Mollys Freunde und Familie in ihm doch so gern den Wunderknaben. Es würde nur als nervtötende Pedanterie aufgefasst werden und seine Mutter sehr deprimieren, wenn er erklärte, dass es normaler Teil seiner Ausbildung zum Allgemeinmediziner war, ein halbes Jahr in der Kardiologie zu arbeiten.
Sechs Monate in einer Notaufnahme hatte Declan bereits hinter sich, ebenso die Zeit in einem Kinderkrankenhaus, und wenn seine Assistenzzeit in der Herzklinik zu Ende war, würde er ein weiteres halbes Jahr in der Geriatrie tätig sein. Erst dann hätte er ausreichend Erfahrung gesammelt, um in einer Allgemeinpraxis anfangen zu können.
Declan war sich nicht sicher, ob wenigstens sein Vater dieses System verstand. Paddy Carroll war ein ruhiger Mann, der unter der Woche seiner Arbeit in der Fleischabteilung eines Supermarktes nachging und jeden Abend ein Bierchen und am Samstag auch mal drei trank. Seiner Ansicht nach war es ohnehin das reinste Wunder, dass der junge Declan sich so gut gemacht hatte. »Deine Mutter ist wahrscheinlich mit einem Superhirn fremdgegangen«, pflegte er oft im Scherz zu sagen.
Declan litt sehr darunter und wünschte sich, Paddy hätte eine bessere Meinung von sich. Viel glücklicher wäre er gewesen, hätte wenigstens sein Vater begriffen, dass er nur deswegen so weit gekommen war, weil er hart gearbeitet hatte.
Zur Feier des Tages bereitete Molly ihrem Sohn ein Frühstück zu, das einen Ochsen umgebracht hätte. »Du weißt nicht, wann du wieder was zu essen bekommst, Declan«, meinte sie, während sie um ihn herumflatterte. »Sie werden dich den ganzen Tag gehörig auf Trab halten und zu allem deine Meinung wissen wollen.«
»Oder mir zeigen, wo es langgeht und was ich tun soll«, entgegnete Declan und betrachtete bestürzt den Teller, auf dem sich das Essen häufte.
Paddy Carroll deutete mit dem Kinn auf Dimples, den großen Hund, der in der Ecke schlief. »Vergiss nicht, den Hund spazieren zu führen, bevor du in die Arbeit fährst, Declan«, sagte er.
Declan verstand den Wink sofort. Er solle seine Mutter besser nicht vor den Kopf stoßen, indem er das monströse Frühstück verweigerte, denn Dimples würde kurzen Prozess mit den Würstchen und der Blutwurst machen. Molly umarmte ihn ein letztes Mal, bevor sie davoneilte, um den Waschsalon aufzusperren.
»Ich bin ja so stolz auf dich, ich könnte platzen!«, meinte sie.
»Ach, Mam, das habe ich nur dir und Dad zu verdanken – hättet ihr nicht so viele Überstunden gemacht und
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