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Wege des Herzens

Wege des Herzens

Titel: Wege des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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erwiderte Ania schockiert.
    »Du könntest die ganze Nacht bei mir bleiben. Das wollen wir doch beide …«
    »Aber Mamusia?«
    »Deine Mamusia wird erfahren, dass du den Bus verpasst hast und bei deiner Freundin schläfst, deren Mutter gestorben ist – du weißt doch? Dann fährst du mit dem Bus morgen früh wieder zurück …«
    »Nein, Marek, das kann ich nicht.«
    »Wie du meinst.« Er zuckte die Schultern, und Ania musste hilflos mit ansehen, wie er sich von ihr abwandte.
    »Nächste Woche vielleicht«, fügte sie hastig hinzu.
    Und da lächelte Marek wieder sein wundervolles, verhaltenes Lächeln.
    Einer der Gründe, weshalb Ania nein gesagt hatte, war ihre schäbige Unterwäsche, ein alter, grauer Schlüpfer, so oft gewaschen, dass er bereits die Form verloren hatte und fast fadenscheinig war, dazu ein ausgeleierter Büstenhalter, den zuvor ihre beiden Schwestern getragen hatten. Wenn, dann wollte sie vorbereitet sein.
    Eine Woche lange verkroch Ania sich in ihr Zimmer und nähte hier etwas Spitze und dort winzige Rosenknospen aus Satin an. Gleichzeitig arbeitete sie besonders hart für ihre Mutter, um ihre Schuld bei ihr abzutragen. Die Woche wollte nicht enden, und Ania versäumte viele Unterrichtsstunden, da sie ihre Näharbeiten in den Fahrradschuppen der Schule mitnahm und dort weiterarbeitete, um die Aufträge ihrer Mutter rechtzeitig zu erledigen.
    Von Kopf bis Fuß in ihre feinsten Kleider gehüllt, bestieg Ania am Samstag darauf zitternd den Bus. Heute Nacht würde sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem Mann schlafen. Die ganze Nacht würde sie in Mareks Armen liegen. Ihr Herz schlug so heftig, dass ihr fast schwindlig wurde.
     
    »Sei vorsichtig, Ania«, rief ihr die Mutter noch nach.
    Einen Moment lang wollte Ania zurücklaufen, sich an ihrer Schulter ausweinen und ihr alles erzählen. Doch der Augenblick verstrich, und schon saß sie im Bus.
    Mittlerweile kannte sie einige der Leute im Café Motlawa, die ihr zunickten und sie wie einen Stammgast begrüßten.
    Marek lehnte am Tresen und wartete bereits auf sie.
    »
Dzien dobry
, Ania« begrüßte er sie förmlich.
    »
Dzien dobry
, Marek«, erwiderte sie schüchtern.
    Und dann lag sie in seinen Armen und tanzte zu der Musik. Wie immer. Nur dass sie dieses Mal nicht nach Hause zu ihrer Mutter fahren würde.
    Bitte,
bitte
, lieber Gott, mach, dass es gut ausgeht …
     
    Ania war noch nie zuvor so lange in dem Lokal geblieben und sah zum ersten Mal, wie man Kerzen in die Flaschen steckte, deren Schatten romantisch flackernd über die Wände huschten. Irgendwann ging sie zum Telefonieren und rief Mrs.Zak an. Ihr gehörte der Kramerladen um die Ecke.
    Mrs.Zak war entsetzt, als sie erfuhr, dass Ania den Bus verpasst hatte. »Und wo bleibst du heute Nacht, Ania? Was soll ich deiner Mutter sagen?«
    »Bei meiner Schulfreundin Lidia, Mrs.Zak. Ich bin morgen wieder zu Hause.« Endlich, nach einer Ewigkeit, wie Ania schien, legte Mrs.Zak auf.
    Als Ania sich umdrehte, bemerkte sie, dass Marek sie ansah.
    »Du bist so schön, Ania, und ich liebe dich«, sagte er.
    »Ich habe so etwas noch nie getan. Wahrscheinlich stelle ich mich dumm an«, begann sie.
    »Es wird bestimmt wunderbar, und wir werden sehr glücklich sein«, versicherte er ihr und legte beide Arme um sie. Dann gingen sie nach oben in ein Zimmer, in dem eine Matratze und ein kleiner Teppich auf dem Boden lagen. Daneben stand ein Krug mit Blumen, den wahrscheinlich Marek dort hingestellt hatte. Es war nicht wunderbar, aber Ania war trotzdem sehr glücklich, als sie in Mareks Armen einschlief. Am nächsten Morgen stand er auf und brachte ihr Kaffee und Brötchen zum Frühstück.
    Noch nie hatte sie etwas so Zauberhaftes erlebt.
    Mit einem breiten Lächeln im Gesicht bestieg Ania den Bus nach Hause.
     
    Ihre Mutter hegte keinerlei Verdacht, als Ania zurückkehrte. An dem Tag kamen ihre beiden Schwestern zu Besuch, und eine erzählte, dass sie wahrscheinlich schwanger war, was bei allen große Aufregung auslöste. Ania jedoch war in Gedanken viele Kilometer weit entfernt im Café Motlawa. Es musste einen Weg geben, so bald wie möglich wieder zu Marek in die Stadt zu fahren, aber die Sache mit dem versäumten Bus hatte sie so belastet, dass Ania diese Ausrede kein zweites Mal benützen würde.
    Und so nähte und flickte und bügelte sie schweren Herzens, da alles, was sie sich ersehnte, zwar in Reichweite war, ihr aber so leicht weggenommen werden konnte.
     
    Als Ania am nächsten Tag in

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