Wege des Herzens
jammerten, wie hart sie arbeiten mussten.
»Bleib allein, solange es geht, Ania«, warnten sie die kleine Schwester. Das fiel Ania nicht schwer; sie war noch sehr jung, und wenn sie nach der Schule nach Hause kam, blieb ihr oft kaum noch Zeit zum Lernen. Nicht dass sie eine besonders gute Schülerin gewesen wäre, aber solange sie noch zu Hause wohnte, musste sie ihrer Mutter bei der Arbeit helfen. Es war ihre Aufgabe, die Bügeleisen vorzubereiten, um damit die Kleider zu glätten, die ihre Mutter flickte. Und damals gab es noch keine schönen, leichten elektrischen Dampfbügeleisen, die mühelos über den Stoff glitten. Ania hatte noch mit schweren Geräten aus Eisen, die auf dem Ofen heiß gemacht wurden, das Bügeln gelernt. Und um das Material zu schonen, musste man unbedingt ein feuchtes Tuch auf den Stoff legen. Wehe, es blieb ein Brandfleck zurück.
Mamusia war jedoch der Ansicht, dass ihre Kundinnen es zu schätzen wussten, wenn sie ihre umgearbeiteten Kleidungsstücke gebügelt zurückbekamen. Das würde sie auch ermuntern, ihr die Röcke zu bringen, die im Bund weiter gemacht werden mussten, und auch mal eine Schuluniform, die für ein jüngeres Geschwister enger genäht werden sollte.
Andere Mädchen in ihrer Straße gingen auf den Jahrmarkt, wenn er in die kleine Stadt kam, oder auch in den Zirkus, und sie trafen sich auf eine Limonade in dem Café an der Brücke. Nicht so Ania. Für sie gab es immer zu viel zu tun.
Mamusia war stets guter Laune und voller Hoffnung.
»Wir haben noch immer unseren guten Namen, Ania, unser Ansehen bei den Leuten ist hoch. Dein Vater wurde von allen respektiert. Wir haben die Raten für seinen Lastwagen bezahlt. Wir sind Ehrenleute. Uns kann nichts aus der Bahn werfen.«
Doch Mamusia wusste nicht, was das Schicksal noch für sie bereithielt, das alles ändern würde.
Als Ania fünfzehn Jahre alt wurde, machte Mamusia ihr ein besonderes Geburtstagsgeschenk: eine auf Taille gearbeitete Jacke, mit dunkelgrünem Samt verbrämt. Eine Kundin hatte zu viel von dem Stoff gekauft, und Anias Mutter hatte die übrig gebliebenen Reste aufgehoben.
Ania war außer sich vor Freude über das edle Stück. Ihr dunkles Haar schimmerte, und sie wagte kaum zu hoffen, dass sie vielleicht doch nicht so hässlich war. Im Vergleich zu den anderen Mädchen war sie sich immer mager und linkisch vorgekommen und hatte bisher nicht gewusst, wie gut sie in der entsprechenden Aufmachung aussehen konnte.
Zielstrebig hatte sie ihr weniges Geld gespart, um mit ihrer besten Freundin Lidia ins Café gehen und sich dort in ihrer schicken Jacke zeigen zu können. Die anderen Mädchen bewunderten sie sehr, und die ganze Zeit über bemerkte sie, dass ein dunkelhaariger Mann ihr interessierte Blicke zuwarf.
Schließlich stellte er sich ihr vor.
»Ich bin Marek«, sagte er. »Sie sind sehr schön, junge Dame.« Nie zuvor hatte jemand auch nur annährend etwas Ähnliches zu Ania gesagt, und sie spürte, wie sie vor Aufregung Gänsehaut bekam. Dieser Mann hielt sie tatsächlich für schön – sie, die kleine Ania, Mamusias Küchenhelferin.
»Danke«, erwiderte sie zurückhaltend.
»Schade, dass es hier keine Musikbox gibt. Wir könnten zusammen tanzen«, meinte er.
»Ich kann nicht gut tanzen.« Ania schaute betreten zu Boden.
»Ich könnte es Ihnen beibringen«, antwortete Marek. »Ich tanze sehr gern.«
»Vielleicht sehe ich Sie ja wieder …« Unschuldig schaute Ania ihn an.
»Ja, vielleicht, aber nicht an einem so langweiligen und tristen Ort wie hier. In der Nachbarstadt gibt es ein gutes Café, das Motlawa. Ich bin dort jeden Nachmittag anzutreffen.«
Und die kleine Ania, die ihrer Mutter noch nie im Leben eine Unwahrheit erzählt hatte, dachte sich eine lange Geschichte aus über eine Schulfreundin, deren Mutter gestorben sei und die im Nachbarort beerdigt werden würde. Anias Mutter gab ihr sogar noch das Geld für die Busfahrt, und Ania machte sich allein auf den Weg ins Café Motlawa. Sie hatte sich die Haare gewaschen und den Saft einer halben Zitrone ins letzte Spülwasser getan, damit es schön glänzte, wie Lidia es ihr geraten hatte.
Als sie aus dem Haus ging, drückte ihre Mutter ihr noch eine Münze in die Hand, um in der Kirche eine Kerze für die arme verstorbene Seele anzuzünden. Noch nie im Leben hatte Ania solche Schuldgefühle verspürt. Mit dem Extrageld kaufte sie sich einen Lippenstift und hoffte, dass Marek auch an diesem Nachmittag in dem Café sein würde.
Sie
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