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Wege des Herzens

Wege des Herzens

Titel: Wege des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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sah ihn sofort, und es lief Musik. Mit ausgebreiteten Armen kam Marek auf sie zu, und bald tanzten sie eng umschlungen. Es kam Ania vollkommen natürlich vor, sich an diesen Mann zu lehnen und seine Arme um sich zu spüren. Sie redeten nicht viel. Das war auch nicht nötig. Und als sie sagte, dass sie zurück zum Bus müsse, begleitete er sie bis zur Haltestelle.
    »Du siehst so wunderhübsch aus in deiner grünen Jacke«, sagte er. »Wie ein Wesen aus dem Wald, eine Nymphe vielleicht.«
    »Das ist meine einzige gute Jacke«, gestand sie ihm. »Vielleicht wird es dir bald langweilig, sie anzuschauen.« In dem Moment wurde Ania klar, wie voreilig sie gewesen war. »Ich meine, falls wir uns wiedersehen …« Jetzt war sie völlig durcheinander.
    Marek hob ihr Kinn und küsste sie sanft. Ania spürte seine Berührung auf ihren Lippen den ganzen Weg im Bus zurück nach Hause, während sie versuchte, sich eine Geschichte über die angebliche Beerdigung auszudenken und sich gleichzeitig eine Ausrede einfallen zu lassen, um wieder ins Café Motlawa zurückkehren zu können.
     
    Die Liebe findet immer einen Weg.
    Das hatte Ania einmal irgendwo gelesen, und es sollte sich herausstellen, dass es stimmte. Die Schullehrerin hatte mehrere Kleider und Kostüme in Auftrag gegeben und brauchte dafür besondere Knöpfe, die der Kurzwarenladen im Ort aber nicht vorrätig hatte. Ania erinnerte sich, wie sie sagte, auf dem Weg zur Beerdigung der Mutter ihrer Freundin an einem solchen Laden vorbeigekommen zu sein, und bot ihrer Mutter an, in die Stadt zu fahren und zu schauen, ob sie die passenden Knöpfe auftreiben konnte. Wieder löste die Dankbarkeit ihrer Mutter die heftigsten Schuldgefühle bei ihr aus.
    »Was bist du doch für eine gute Tochter, Ania. Ich habe wirklich Glück mit dir«, sagte sie. »Als mein Pawel verunglückt und mein Józef nach Gdansk gegangen ist, da habe ich gewusst, dass ich mich auf dich verlassen kann. Danke dir, mein Kind, danke.«
    Bereits nach wenigen Minuten hatte Ania das Geschäft gefunden, das die richtigen Knöpfe verkaufte. Der Verkäufer, ein alter Mann, bat sie, die Knöpfe selbst aus der Schachtel herauszusuchen. Er sei kurzsichtig und sehe nicht mehr richtig.
    Noch ehe sie wusste, was sie tat, hatte Ania ein halbes Dutzend winzige Perlmuttknöpfe in die Tasche gesteckt. Jetzt war noch Geld übrig, das sie für sich selbst ausgeben konnte. Ihre alte, dunkelblaue Jacke machte nicht mehr viel her, aber wenn man sie ein wenig auffrischte … Und so kaufte Ania sich mit dem gesparten Geld eine emaillierte Brosche in Rosa und Weiß und ließ den alten Mann einfach stehen.
    Sie sehe hinreißend aus, sagte Marek, und wieder tanzten sie den ganzen Nachmittag. Ania bemerkte, dass ihr die Leute bewundernde Blicke zuwarfen. Es konnte ja keiner ahnen, dass sie den Abend damit zubringen würde, die umgearbeiteten Kleidungsstücke aufzubügeln, an denen ihre Mutter den ganzen Tag über gearbeitet hatte, um anschließend die kleinen Perlmutterknöpfe anzunähen, die sie gestohlen hatte.
    »Womit verdienst du dir dein Leben, kleine Ania?«, flüsterte Marek in ihr Ohr.
    Er wusste also nicht, dass sie noch zur Schule ging. »Ich helfe meiner Mutter im Geschäft. Sie schneidert und entwirft Kleider«, sagte sie.
    »Und verdienst du viel Geld damit, kleine Ania?«
    »Nein, nicht sehr viel.«
    »Hättest du gern viel Geld, um dir schöne Dinge zu kaufen?«
    »O ja – aber wünschen wir uns das nicht alle?«
    »Auch ich trage gern elegante Kleidung, also arbeite ich hart, um Geld zu verdienen, damit ich sie mir kaufen kann.« Er sah so gut aus mit seinen weißen Zähnen, dem blütenweißen Hemd, der schwarzen Lederjacke und der dunkelgrauen Hose aus feiner Wolle. Sein Äußeres erweckte den Anschein, als ob er ein sehr wohlhabender Mann sei. Aber warum konnte er es sich dann erlauben, den Nachmittag in Cafés und beim Tanzen zu verbringen, anstatt zur Arbeit zu gehen?
    Das war Ania ein Rätsel, und so fragte sie ihn einfach.
    »Ich warte darauf, dass ich mir mein eigenes Lokal leisten kann, Ania, ein wirklich gutes Café. Ich arbeite nicht gern für andere. Eines Tages wird es so weit sein. Und bis dahin halte ich die Augen offen und lerne …«
    Ania schaffte es, sich eine Ausrede nach der anderen einfallen zu lassen, um immer wieder in die Stadt fahren zu können, und als drei Monate vergangen waren, schlug Marek ihr vor, nicht mit dem letzten Bus in ihr Dorf zurückzukehren.
    »Aber das geht doch nicht!«,

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