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Wege im Sand

Wege im Sand

Titel: Wege im Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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schwankend, flatterte sie nach unten, dann fing sie sich und stieg hoch, immer höher, bis zum Wipfel der Zeder. Die wartende Krähenschar sah sie kommen und setzte sich gleichzeitig in Bewegung – eine Wolke aus glänzenden schwarzen Schwingen, die Ebby nach Hause geleiteten.
    Nell bemerkte, dass sie Stevies Hand losgelassen und die Fensterbank umklammert hatte, um den Krähen nachzusehen. Sie flogen über den Strand, in die Bäume hinter der Marsch unweit des Hauses, in dem Peggy wohnte – wo Billy den kleinen Vogel gefunden hatte.
    »Er ist jetzt bei seiner Familie«, sagte Nell.
    »Das muss ich unbedingt Billy erzählen.« Peggys Augen glänzten.
    Nell sah Stevie an. Ihr Haar war so schwarz wie der Rücken der Krähen. Sie hätte am liebsten die Hand ausgestreckt und es berührt, um zu sehen, ob sie dem weichen, glänzenden Gefieder glichen. Sie konnte sich gut vorstellen, dass Stevie zu ihrer Familie gehörte, ihre Krähen-Tante wäre. Oder ihre Mutter. Bei dem Gedanke war ihr nach Lachen und Weinen zugleich zumute.
    »Wartest du auf mich, solange ich weg bin?«, fragte sie.
    »So lange du willst«, versprach Stevie. »Du kannst jederzeit hierher zurückkommen.«
    Nell legte den Kopf schief, verbarg ein Lächeln. Zurückkommen – aber von wo? Der Sommer war aufregend und kein Ende in Sicht: Daran wollte nicht einmal denken. Es spielte beinahe keine Rolle, solange sie nach Hubbard’s Point zurückkehren konnte.
    »Freust du dich auf Schottland?«, fragte Stevie.
    Nell senkte den Kopf. Ihr Vater hatte Stevie offenbar von der langweiligen Reise erzählt, die er geplant hatte. »Nicht wirklich.«
    »Im Ernst? Du freust dich nicht, in einem so schönen Land wie Schottland zu leben?«
    »Leben? In Schottland? Dad hat es erwähnt, aber ich dachte, er meinte besuchen.«
    »Nell – das ist so weit weg! Du darfst nicht in ein anderes Land ziehen!«, ließ sich Peggy vernehmen.
    Stevie wurde rot. Sie atmete hörbar aus, ganz offensichtlich hatte sie das Falsche gesagt. Nell schnappte nach Luft. Das konnte nicht wahr sein. Schottland lag auf der anderen Seite des Ozeans. Wie konnte sie von dort nach Hubbard’s Point zurückkehren, zu Stevie? Und wie sollte ihre Tante sie finden – in einem fremden Land? Sie sollte wirklich in Schottland leben?

    Jack befand sich immer noch in einem Schockzustand, fühlte sich wie betäubt, als Nell nach Hause kam. Er stand lächerlich lange in der Einfahrt, hoffte auf Maddies Rückkehr. Irgendwann ging eine Nachbarin an ihm vorüber. »Alles in Ordnung?«, fragte sie, als sie sah, dass er ins Leere starrte.
    »Alles bestens«, erwiderte Jack.
    Er war in den Garten hinter dem Haus gegangen und hatte sich auf die Bank unter dem Baum gesetzt. Stevie und er hatten hier gesessen, an dem Morgen, als sie mit Kaffee herübergekommen war. Ein Stunde verging, dann eine weitere. Er rührte sich nicht. Der Anblick seiner schluchzenden Schwester hatte ihn bis ins Mark erschüttert.
    »Schottland?«, rief Nell und rannte um die Ecke, riss ihn jäh in die Wirklichkeit zurück. »Wir werden in Schottland leben?«
    »Woher weißt du das?«, fragte er mit einem flauen Gefühl im Magen.
    »Das sage ich dir nicht, weil du dann böse auf sie bist. Dad, ich will nicht in Schottland leben«, weinte sie.
    Eine Frau, die ihren Hund ausführte, blieb stehen und blickte neugierig zu ihnen herüber.
    »Komm ins Haus.« Jack sprang von der Bank hoch und eilte zur geöffneten Fliegengittertür. Nell trat ein, Sand rieselte bei jedem Schritt aus ihrem Badeanzug auf den Linoleumboden.
    »Du hättest mich nicht einmal gefragt, was ich möchte?«
    »Doch, mein Schatz. Doch. Ich habe nur versucht, die beste Entscheidung für uns beide zu treffen«, stammelte Jack. Er war immer noch aufgewühlt von Madeleines überraschendem Besuch, erschüttert über seine Reaktion, als er ihr gegenüberstand, unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.
    »Ich will nicht weg. Ich will hier bleiben!«
    Jack hatte am Morgen den gleichen Gedanken gehabt – nun erschien er ihm völlig abwegig. Alles hatte sich so wunderbar zusammengefügt, dort oben auf dem Schloss; und Stevies Bitte zu bleiben war ihm wie eine Herausforderung oder ein Versprechen vorgekommen, das er annehmen wollte. Doch nun …
    »Was hast du gegen Atlanta, Dad? Oder gegen Boston?«
    »Ich dachte, du magst Boston nicht.«
    »Ich mag Francesca nicht. Das ist alles!«
    »Wenn ich mich recht erinnere, hast du dich dort nicht besonders wohl

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