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Wege im Sand

Wege im Sand

Titel: Wege im Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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musst eine wichtige Aufgabe erfüllen. Im Auftrag der Beachgirls.«
    »Der Beachgirls … was für ein Auftrag?« Nell spürte, wie es bis in ihre Haarspitzen kribbelte, als wäre soeben ein frischer Wind durch die Küche geweht.
    »Nun, wir möchten, dass du die schottischen Strände in Augenschein nimmst. Um herauszufinden, wie sie beschaffen sind.«
    »Ich weiß schon jetzt, dass sie nicht halb so gut sind wie in Hubbard’s Point.«
    »Mag sein, aber du bist voreingenommen – vielleicht sind sie gar nicht so schlecht. Oder sogar noch besser.«
    »Mit Sicherheit nicht!«, flüsterte Nell hitzig.
    »Vielleicht geht es gar nicht um die Frage, ob sie ›besser‹ sind. Du sollst sie dir nur anschauen und berichten, was du dort vorfindest.«
    »Zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel welche Muschelarten es dort gibt. Und ob der Sand weiß oder rosa ist … fein oder grobkörnig … ob dort das gleiche Seegras wie hier wächst …« Nell schloss die Augen, stellte sich das saftige braune Seegras in den Felsentümpeln von Hubbard’s Point vor, die langen Ranken des Riementangs, der nach einem Sturm an die Gezeitenlinie des Strandes geschwemmt wurde, an die winzigen Uferschnecken, die sich daran festsaugten, mit bloßem Auge kaum erkennbar. Sie spürte, wie sie allein bei dem Gedanken vor Kummer zerfloss, das Seegras von Hubbard’s Point verlassen zu müssen …
    »Wichtig ist auch, wie das Meerglas aussieht«, fügte Peggy hinzu. »Und ob es hölzerne Strandpromenaden, Freilichtkinos und Stellen gibt, wo man Krebse fangen kann – stimmt’s, Stevie?«
    »Stimmt. Das sind genau die Dinge, die wir von dir wissen wollen.«
    »Aber warum?« Nell riss die Augen auf.
    »Vielleicht besuchen wir dich ja in Schottland, oder, Stevie?« Peggy konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten.
    Nell beobachtete den Blick, den Stevie ihrem Vater zuwarf. Sie kannte die Geheimsprache der Eltern – Erwachsene wollten den Kindern keine trügerischen Hoffnungen oder Versprechen machen, die sie nicht halten konnten.
    »Das kann ich dir jetzt noch nicht sagen. Aber darum geht es auch nicht. Wir wollen es einfach wissen, Nell. Wir müssen wissen, wie sich der Sand unter den Zehen anfühlt … wie das Salzwasser schmeckt, wenn man schwimmen geht … und wie das Sonnenlicht aussieht, wenn es sich in den Buchten spiegelt … und wie hell die Sterne über dem Meer leuchten – das ist wichtig. Aus einem einzigen Grund – weil wir Beachgirls sind. Das ist alles.«
    »Ein guter Grund«, flüsterte Peggy.
    »Es wird Zeit«, sagte Stevie und drückte Nells Hand ein wenig fester. Tränen liefen über ihr Gesicht, und plötzlich wusste Nell, dass Stevie sich diesen Auftrag ausgedacht hatte – um ihr der Abschied zu erleichtern. Ihre Gefühle sträubten sich. Wir sollte sie diese Trennung überstehen?
    Ihr Vater hatte stumm vor der Tür gestanden. Sie hatte gedacht, dass er nur auf sie warten würde, ihr beim Verabschieden zuschaute, doch als sie sich umdrehte, sah er Stevie an. Sein Blick war eindringlich und rätselhaft; er bewirkte, dass ihr mit einem Mal ein Schauder über den Rücken lief – ohne dass sie wusste, warum. Sie hatte diesen Blick seit langem nicht mehr gesehen – vielleicht nicht einmal zu Lebzeiten ihrer Mutter. Oder sie war damals einfach zu klein gewesen, um ihn zu bemerken. Oder hatte sich ringsum glücklich und geborgen gefühlt. Der Blick, mit dem er Stevie betrachtete, war wie ein Zauber, erfüllte Nell mit dem unbändigen Verlangen nach einem Zuhause. Dieser flammende Blick verriet ihr, dass er in Wirklichkeit gar nicht wegwollte.
    »Du hast dein Schild entfernt«, sagte ihr Vater mit diesem Blick, der immer eindringlicher wurde.
    »Stimmt.«
    »Warum?«
    Sie antwortete nicht. Nell ergriff Peggys Hand. Sie traten beiseite, neben den Herd, hielten sich fest, als wollten sie sich nie mehr loslassen.
    »Du musst dir was wünschen, dreimal; wünsch dir, dass Stevie uns zurückzaubern kann, von dort, wo er hinmuss …«, flüsterte Nell.
    »Ich wünsche es mir«, sagte Peggy, die Augen fest geschlossen.
    »Ich auch.« Nell spürte den Zauber des Sommers, der Kolibris und der Beachgirls, wie Goldstaub, der aufgewirbelt wurde und sie mitten ins Herzen traf.
    Dann öffnete sich die Fliegengittertür, und Nell spürte, wie die Hand ihres Vaters ihren Kopf berührte. Stevie schob sie zur Tür hinaus, die Mappe in der Hand. Nell hörte Peggy leise schluchzen und ihren Vater flüstern: »Komm, Nell.«
    Und dann hörte

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